Kreuzbandriss: Wie behandeln, wann operieren?
Kreuzbandruptur
Ein Riss des vorderen Kreuzbands gehört zu den häufigen Verletzungen des Kniegelenks. Oft handelt es sich um eine akute Sportverletzung. Aber manche Kreuzbandrisse werden auch erst Jahre später festgestellt. Ob und wie ein Kreuzbandriss behandelt werden sollte, erklärt Prof. Dr. med. Andreas Ficklscherer. Er ist Kniespezialist und Mitinhaber der Orthopädie am Viktualienmarkt in München.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Kreuzbandrisse kennt man vor allem aus dem Sport – kann das auch im normalen Alltag passieren?
Prof. Ficklscherer: „Auf jeden Fall! Wir haben zwar im Kopf, dass häufig Profi-Fußballer, Handballer oder Skifahrer betroffen sind. Allerdings kann das Kreuzband auch in Alltagssituationen reißen. Im Herbst kann es beim Ausrutschen auf nassem Laub passieren oder im Winter bei Schnee- und Eisglätte.“
Wie erkennen Betroffene, ob möglicherweise ein Kreuzband gerissen ist?
Prof. Ficklscherer: „Viele Patientinnen und Patienten berichten von einem Plopp-Geräusch oder einem Peitschenschlag-Phänomen, das sich deutlich hören und wahrnehmen lässt und begleitet ist von einem stichartigen Schmerz. Parallel dazu schwillt das Gelenk in der Regel an, weil es durch den Kreuzbandriss zu Einblutungen kommt. Hinzu kommt im Anschluss häufig ein Gefühl der Instabilität beim Treppensteigen oder Gehen auf unebenem Grund.“
Wie schnell sollte man bei Verdacht auf einen Kreuzbandriss zum Arzt gehen?
Prof. Ficklscherer: „Tritt nach einem Unfall eine Schwellung auf, die möglicherweise durch eine Einblutung verursacht wird, sollte man den nächstmöglichen Arzt aufsuchen. Das kann die Hausärztin oder der Hausarzt sein oder auch jenseits der Öffnungszeiten eine Notaufnahme. Es geht dann im Rahmen der Akutversorgung vorrangig darum, das Ausmaß der Verletzung zu reduzieren und die Schmerzen zu lindern. Ein Kreuzbandriss selbst erfordert keine Notfallbehandlung. Ist die Erstversorgung mittels Ruhigstellung, Schmerzmitteln und Kühlen erfolgt, können die Patientinnen und Patienten in Ruhe nach einem geeigneten Spezialisten suchen, der eine mögliche Weiterbehandlung übernehmen kann.“
Was ist schlimmer: ein Riss des vorderen oder des hinteren Kreuzbands?
Prof. Ficklscherer: „Ein Riss des vorderen Kreuzbands tritt sehr viel häufiger auf als der des hinteren Kreuzbands. Während eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes eher operiert werden sollte, heilen Risse des hinteren Kreuzbandes sehr gut konservativ, also ohne Operation, aus. Grundsätzlich sind jedoch beide Bänder wichtig für die Kniegelenksstabilität und bedürfen bei einer Verletzung einer korrekten Behandlung.“
Was passiert, wenn ein Kreuzbandriss nicht behandelt wird?
Prof. Ficklscherer: „Wir sehen tatsächlich immer wieder ältere Kreuzbandrisse als Zufallsbefunde bei einer MRT-Bildgebung (Magnetresonanztomographie). Wenn die Patienten trotz Kreuzbandriss keine Einschränkungen spüren oder keinen Belastungen ausgesetzt sind, die zu Problemen führen, muss er auch nicht zwangsläufig behandelt werden. Im Hintergrund schwelt immer die Frage, ob durch die Kreuzbandruptur die Entwicklung einer Arthrose begünstigt wird. Dies ist wissenschaftlich bisher nicht sicher bestätigt. Allerdings wissen wir, dass es bei Kreuzbandrissen häufig zu Begleitverletzungen kommt: Dies können kleinere Knorpelschäden oder Meniskusschäden sein.“
Wie kann ein Kreuzbandriss behandelt werden?
Prof. Ficklscherer: „Es besteht die Möglichkeit, einen erlittenen Kreuzbandriss konservativ oder operativ zu behandeln. Letztendlich ist dies eine sehr individuelle, patientenabhängige Entscheidung. Faktoren, die dabei berücksichtigt werden sollten, sind das Alter und der berufliche bzw. sportliche Anspruch der Patientin oder des Patienten. Um ein Beispiel zu nennen: Radfahren im moderaten Hobby-Bereich ist durchaus ohne intaktes Kreuzband zu bewältigen. Fußball- oder Handballspielen eher nicht.“
Wenn eine Operation erforderlich ist – wie „reparieren“ Sie das Kreuzband?
Prof. Ficklscherer: „Die Therapieoptionen bei Kreuzbandrupturen haben in den vergangenen 10 bis 15 Jahren einen großen Wandel im Detail erlebt. Der Goldstandard ist sicher die Rekonstruktion mit einer autologen, also körpereigenen, Sehne. Dies kann eine Hamstring Sehne von der Rückseite der Oberschenkel sein, ein Drittel der Patella-Sehne zwischen Oberschenkelmuskel und Schienbein oder eine Quadrizepssehne vom vorderen Oberschenkel. In der Regel wird diese Sehne am gleichen Bein entnommen, an dem auch das Kreuzband gerissen ist. So beschränken sich Wunden und Schmerzen auf ein Bein. Falls die Patientin oder der Patient bereits mehrfach am Kniegelenk operiert wurde, können wir die Ersatzsehne aber auch am anderen Bein entnehmen. Die entnommene Sehne wird dann speziell vorbereitet und an Stelle des gerissenen Kreuzbandes im Knochen befestigt. Auch hier gibt es unterschiedliche Befestigungsmethoden, je nach Vorliebe des Operateurs und der Ansprüche der Patienten.“
Verwenden Sie auch künstliche Implantate?
Prof. Ficklscherer: „Die Verwendung von Kunstsehnen, also synthetischen Implantaten, hat sich nicht durchgesetzt. Diese können den Belastungen des Kniegelenks auf Dauer meist nicht erfolgreich standhalten. Zudem ist es oft zu Entzündungsreaktionen gekommen, so dass dieser Therapiepfad verlassen wurde. Die Verwendung von Spendersehnen ist ein großes Thema. Diese werden in Deutschland allerdings nur in Ausnahmefällen eingesetzt. Unter anderem auch, weil die Verwendung allogener Sehnen an hohe Auflagen gebunden ist.“
Wie groß ist die Gefahr, dass die neue Sehne abstirbt oder nicht gut funktioniert?
Prof. Ficklscherer: „Das ist zum Glück äußerst selten der Fall. Wir haben stattdessen eine sehr hohe Erfolgsquote bei Kreuzbandrekonstruktionen. Wenn eine Patientin oder ein Patient hinterher Beschwerden hat, muss man die Frage klären, ob die Operation gut durchgeführt wurde, ob möglicherweise Begleitverletzungen vorliegen oder ob Jahre nach der Operation eine Lockerung des Implantates vorliegt.“
Wie läuft eine Kreuzband-Operation ab?
Prof. Ficklscherer: „Vor der Operation am Kreuzband bespreche ich mit meinen Patienten die einzelnen Schritte vor, während und nach der Operation. Ich erkläre, weshalb ich welche Sehne entnehme und welches Befestigungssystem ich verwende. Grundsätzlich operiere ich die Kreuzbänder ambulant. Das heißt meine Patientinnen und Patienten kommen eine Stunde vorher ins Krankenhaus und können nach dem Eingriff wieder nach Hause gehen, sobald sie sich fit genug fühlen. Nur in Ausnahmefällen ist eine Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus erforderlich. Die akute Heilungsphase dauert in der Regel zwei bis drei Wochen. Danach können problemlos Bürotätigkeiten wieder aufgenommen werden. Bei Berufen mit körperlichen Belastungen ist eine längere Pause erforderlich. Nach 2 bis 3 Monaten ist der Einstieg in moderate körperliche Betätigungen wie Radfahren, Walken oder langsames Laufen möglich. Ein normales, Sportarten-spezifisches Training kann nach 6 Monaten beginnen. Frühestens nach 8 Monaten kann dann ein Wiedereinstieg in den Sport mit allen Belastungen erfolgen.“
Ist im Anschluss an eine Kreuzband-OP eine Reha erforderlich?
Prof. Ficklscherer: „Das nicht, sehr wichtig ist aber eine ambulante Physiotherapie, die unmittelbar nach der Operation beginnt. Im Idealfall sollte diese mit dem Operateur abgestimmt werden.“
Für Sportler, besonders für Profis, ist besonders wichtig, dass das Knie nach einer Kreuzband-OP wieder voll belastbar ist. Kann man hinterher wieder Fußball- oder Handball-Spielen bzw. Skifahren?
Prof. Ficklscherer: „Mein großes Ziel ist, die Patientinnen und Patienten zurück in ihre Sportarten zu bringen. Die Gefahr dabei ist, dass der Wiedereinstieg zu schnell erfolgt. Sei es, weil die Athleten selbst zu ambitioniert sind oder die Trainer oder Vereine Druck machen. Hier bin ich als Facharzt gefragt, begleitend einzugreifen. Sportarten wie Fußball, Handball oder auch Skifahren sollten in vollem Umfang frühestens nach 8 Monaten wieder ausgeübt werden. Dann aber steht ihnen mit vollständig ausgeheiltem Kreuzband und aktiver Gelenkstabilität auch nichts im Wege.“
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