Arthrose verhindern – geht das?
Gelenkarthrose
Eine primäre Arthrose ist ein altersbedingter Gelenkverschleiß, gegen den angeblich viele Hausmittel und Behandlungen helfen. Leider ist die Wirkung oft fraglich, erklärt Prof. Dr. med. Andrea Meurer, Spezialistin für Endoprothetik und Direktorin der Klinik für Orthopädie des Universitätsklinikums Frankfurt, Johann Wolfgang Goethe Universität.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Ist es möglich, die Entstehung einer Arthrose zu verhindern?
Prof. Meurer: „Nein, leider ist dies bis heute nicht möglich. Untersuchungen des britischen Gesundheitswesens haben eindeutig ergeben, dass eine primäre Arthrose dem Altersverlauf entspricht. Erfolgt eine Bildgebung bei 40-jährigen Patienten, so ist bei etwa 1 Prozent von ihnen eine beginnende Arthrose nachweisbar. Im Alter von 80 Jahren leiden dagegen mehr als 90 Prozent unter Gelenkverschleiß. Anders sieht es bei sekundären, erworbenen Formen der Arthrose aus, die z.B. nach Unfällen, Bandverletzungen oder anderen Gelenkerkrankungen entstehen können.“
Der Sachbuch-Bestseller „Die Arthrose-Lüge“ von Liebscher/Bracht vertritt allerdings die These, selbst eine bereits entstandene Arthrose könne man umkehren und neuen Gelenkknorpel wachsen lassen. Was davon stimmt?
Prof. Meurer: „Mein Forschungsleiter hat dazu eine klare Meinung, er sagt: ‚Großer Unsinn’. Ich habe mich natürlich auch mit dem Ratgeber beschäftigt, weil ich täglich verzweifelten Arthrosepatienten gegenüber sitze, die nach jedem Strohhalm greifen, der Schmerzfreiheit verspricht. Wenn eine Knorpelregeneration tatsächlich möglich wäre, dann wäre das ein Urknall der Orthopädieforschung, vor allem wenn sich dies durch einfache Übungen und eine Ernährungsumstellung bewirken ließe. Leider fehlt zu dieser Behauptung jeder wissenschaftliche Beleg.
Die Therapieansätze, die in dem Buch vorgeschlagen werden, sind lange bekannt und etabliert: Bei Arthrose die stützende Muskulatur zu stärken und Faszien zu dehnen, kann in vielen Fällen Beschwerden lindern. Die Arthrose selbst verschwindet dadurch aber nicht. Auch eine Ernährungsumstellung, die oft einen Gewichtsverlust bewirkt, kann einen positiven Einfluss haben. Aber zu behaupten, Arthrose sei eine Erfindung, eine Lüge, ist genauso falsch wie die Behauptung der Autoren, es gebe keine chronischen Schmerzen. Für mich ist das Publizismus, der wissenschaftlich nicht fundiert ist.“
Was kann man tun, um die Entwicklung einer Arthrose positiv zu beeinflussen?
Prof. Meurer: „Das ist schwierig zu beantworten. Falls anatomische Faktoren vorliegen, wie z.B. ausgeprägte X- oder O-Beine, können operative Eingriffe die Fehlbelastung korrigieren und dadurch der Entstehung bzw. dem Fortschreiten einer Arthrose entgegenwirken. Bei Patienten, die bereits in jungen Jahren an Systemerkrankungen wie z.B. Rheuma leiden, kann eine konsequente Behandlung dieser Krankheit eine spätere Schädigung der Gelenke verhindern.
Was jeder einzelne tun kann ist: Übergewicht zu vermeiden und auf eine regelmäßige Bewegung ohne extreme Belastungen zu achten. Gut geeignete Sportarten sind:
- Schwimmen
- Radfahren
- Nordic Walking
Durch die Bewegung bildet sich Gelenkflüssigkeit, die wie Schmiere zwischen die Knorpelschichten gleitet. Stoßfedernde Schuhsohlen oder Einlagen können die Gelenkbelastung reduzieren und sogar leichte Achsfehlstellungen ausgleichen. Neben Schmerzmitteln gibt es leider keine Medikamente, die Arthrosebeschwerden lindern können. Zu Gelenkspritzen mit Hyaluron oder Glucosamin ist die wissenschaftliche Datenlage nicht eindeutig, so dass es keine Behandlungsempfehlung gibt.“
Welche Rolle spielt die Ernährung in der Arthroseprävention?
Prof. Meurer: „Das kann ich nicht wissenschaftlich bewerten, hier sind Ernährungsmediziner gefragt. Aber es ist unstrittig, dass unsere Ernährung den Stoffwechsel beeinflusst. Bei Osteoporose-Patienten werden durch eine Umstellung der Ernährung positive Effekte erreicht. Ähnliches haben mir auch schon Arthrosepatienten berichtet.“
Gibt es Hausmittel oder Nahrungsergänzungsmittel, die bei Arthrose lindernd wirken?
Prof. Meurer: „Ich weiß, das Angebot ist riesig. Einige schwören auf Curry oder Chili bei Gelenkerkrankungen. Andere nehmen Teufelskralle oder Ingwer. Allerdings fehlen bei fast allen Produkten eindeutige Wirkungsnachweise. Einigen meiner Patienten mit Arthrose hilft Wärme, anderen helfen dagegen Eisbeutel auf den Gelenken. Ich denke, hier sollte jeder auf sein Körperempfinden vertrauen.
Solange der Wirkstoff nicht schadet und man das Gefühl hat, es hilft, ist das doch prima, selbst wenn es sich nur um einen Placeboeffekt handeln sollte. Allerdings sollte einen der gesunde Menschenverstand auch davor bewahren, beispielsweise Pulver aus gemahlenen Korallen einzunehmen, das die Zerstörung von geschützten Korallenbänken bewirkt. Auch die Einnahme von Gelatine ist seit Bekanntwerden der Rinderseuche BSE eher kritisch zu bewerten.“
Warum gibt es keine Vorsorgeuntersuchungen für Arthrose?
Prof. Meurer: „Genau das ist mein Anliegen. Es ist schade, dass Arthrose eine so hohe Krankheitslast mit Millionen betroffener Menschen darstellt und trotzdem das Geld für die Arthroseforschung fehlt. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass Arthrose vorwiegend ein Problem älterer Menschen ist, die für Unternehmen nicht interessant und werbewirksam sind. Dabei ist die Gesundheit älterer Menschen ein hochbrisantes gesellschafts-politisches Thema.
Arthrose führt zu einer Invalidisierung und gefährdet die Selbstversorgung älterer Mitbürger. Ich habe daher die Deutschen Initiative für Arthroseforschung (DIA) ins Leben gerufen, für die unsere ehemalige Bundestagspräsidentin Prof. Rita Süssmuth die Schirmherrschaft übernommen hat. Und ich habe ein eigenes Forschungslabor aufgebaut, das finanziell durch drei Stiftungen unterstützt wird. Wir arbeiten unter anderem daran, Marker im Blut zu finden, die auf eine Arthrose hinweisen und die bei einer Standard-Blutuntersuchung beim Hausarzt nachwiesen werden könnten.“
Wann müssten Früherkennungsuntersuchungen für Arthrose ansetzen?
Prof. Meurer: „Arthrose entwickelt sich über einen langen Zeitraum und verursacht meist erst in einem fortgeschrittenen Stadium Beschwerden. Daher sollte eine Vorsorgeuntersuchung ab 40 Jahren, spätestens jedoch ab einem Alter von 50 Jahren stattfinden. Heutzutage ist es leider so, dass die meisten Patienten erst zu uns kommen, wenn das Gelenk bereits stark zerstört ist und nur noch ein Gelenkersatz hilft.“
Wie könnte die Arthrosebehandlung der Zukunft aussehen?
Prof. Meurer: „Auch wenn die Arthroseforschung stiefkindlich behandelt wird, so gibt es weltweit dennoch viele Ansätze, die sich mit der Entstehung und Therapie von Arthrose beschäftigen. So wird im Rahmen einer großen Studie, an der zahlreiche Zentren beteiligt sind, untersucht, welche positiven Auswirkungen eine Beinachsenkorrektur bei Jugendlichen hat. Es gibt Versuche, die Knorpelregeneration z.B. durch Einwirkung von Strom oder Medikamenten zu erreichen. Auch die bereits etablierten Knorpelersatzverfahren stehen auf dem Prüfstand, weil hier aktuell noch keine Langzeitwerte vorliegen. Es wird für Patienten aber immer wichtig bleiben, ihre Arthrose von Spezialisten behandeln zu lassen, die ein breites Spektrum beherrschen. Es gibt diverse konservative und operative Verfahren, um die Auswirkungen einer Arthrose zu lindern. Die einzige Antwort auf Arthrose darf nicht Gelenkersatz sein.“
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