Moderne Technologien in der Knie- und Hüftchirurgie
Gelenkchirurgie
Um Behandlungen auf höchstem Qualitätsniveau anbieten zu können, ist in der Orthopädie eine Subspezialisierung erforderlich, die verstärkt auf die Unterstützung moderner Operationstechniken setzt, erklären Dr. med. Bernhard Christen und PD Dr. med. Tilman Calliess, Spezialisten für Kniechirurgie und Leiter der Orthopädischen Spezialpraxis articon in Bern.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Warum haben Sie sich auf Knie- und Hüftgelenkchirurgie spezialisiert?
Dr. Christen: „Ich bin bereits seit 2002 als selbstständiger operativer Orthopäde in Bern tätig und betreibe seit dieser Zeit meine Praxis. In den vergangenen Jahren habe ich mich immer mehr auf die Versorgung von Knie- und Hüftgelenken spezialisiert. Im Zuge dieser Fokussierung habe ich sogar 2016 mit der Behandlung der Schulter aufgehört, obwohl ich ein ausgebildeter Schulterchirurg bin. Das rapide zunehmende Wissen auf den verschiedenen Gebieten der Orthopädie macht eine Subspezialisierung erforderlich, damit man Behandlungen in der höchst möglichen Qualität anbieten kann.“
Dr. Calliess: „Ich bin 2018 zu Dr. Christen in die Praxis als Partner dazu gestoßen. Ich habe vorher als Oberarzt in der Spezialabteilung für Knie- und Hüftprothetik an der Orthopädischen Universitätsklinik Annastift in Hannover gearbeitet und bin entsprechend auch auf den Gelenkersatz dieser beiden Gelenke spezialisiert. Das hat uns beide letztendlich zusammengebracht, da wir dieselben Ideen und Konzepte verfolgen. So haben wir beschlossen, aus der bestehenden Praxis heraus unsere gemeinsame Spezialpraxis für Gelenkchirurgie zu gründen. Die gemeinsame Praxis „articon“ gibt es daher erst seit 2018, wenn man so will. Wir möchten unsere Erfahrung und Kompetenzen zusammenführen und in diesem Austausch eine optimale Versorgung für unsere Patienten erreichen.“
Worin liegen die Vorteile Ihrer Zusammenarbeit in einer spezialisierten Praxis für Gelenkchirurgie?
Dr. Christen: „Wir bringen beide unterschiedliche Erfahrungen und Kompetenzen mit und ergänzen uns hervorragend. Viele Dinge können wir auf vier Schultern verteilen und uns beispielsweise vermehrt um neue Projekte und wissenschaftliche Arbeiten kümmern. Der größte Unterschied und Vorteil ist aber in meinen Augen der enge fachliche Austausch untereinander. Ich war immer viel auf nationalen und internationalen Fachtagungen aktiv und habe mich permanent fortgebildet, um auf der Höhe der Zeit zu sein. Dennoch empfinde ich es als positiv, sich im normalen Arbeitsalltag und in den medizinischen Entscheidungen, die wir jeden Tag treffen müssen, eng abstimmen und austauschen zu können. So haben wir bereits viele Prozesse optimiert und das Bewährte gut ergänzt. Auch verfolgen wir möglichst ein „Vier-Augen-Prinzip“ - jede Therapie muss immer auch dem kritischen Auge des Anderen standhalten können.“
Dr. Calliess: „Wie erwähnt komme ich aus einer Universitätsklinik mit über 40 Orthopäden, wo wir in einem sehr großen Team versucht haben, unsere Patienten gut zu versorgen. Im Operationssaal selbst ist uns das ganz gut gelungen, aber die Abstimmung der einzelnen Therapieprozesse war bei der Größe und Diversität der Krankheitsbilder immer etwas schwierig. Was wir hier bei articon machen, ist, dass wir uns auf wenige Eingriffe konzentrieren und versuchen, diese bis ins letzte Detail zu optimieren, sodass die Patienten möglichst rasch und ohne Komplikationen weiter auf die Beine kommen. U.a. sind wir dazu übergegangen, Physiotherapeuten mehr in den Behandlungsprozess einzubinden. Das ist, glaube ich, recht einzigartig bei uns, dass wir nicht nur die Operation betrachten, sondern den gesamten Behandlungsverlauf vom ersten Patientenkontakt bis zur erfolgreichen Rehabilitation und Langzeitkontrolle.“
Warum setzen Sie u.a. auch auf eine hohe Technisierung bei Ihren Operationen?
Dr. Christen: „Natürlich bleibt eine gute Operation die wesentliche Basis für den Therapieerfolg und mein Bestreben war es immer schon, diese möglichst exakt und fehlerfrei durchzuführen. Dafür gehört neben Fachwissen auch viel Erfahrung, die ich – wie ich glaube – habe. Dennoch finden sich immer wieder Kleinigkeiten, die noch besser gemacht werden könnten. Dafür nutze ich seit Jahren die neuesten technischen Möglichkeiten, um eine Prothese noch präziser zu implantieren und damit Resultat und Sicherheit für den Patienten zu erhöhen. Im Sommer 2018 haben wir in diesem Zuge zusammen mit der Klinik Hirslanden Bern die ersten Operationsroboter für Gelenkoperationen in der Schweiz in Betrieb genommen.“
Wie funktioniert dieser Operationsroboter?
Dr. Calliess: „Die von uns verwendete MAKO-Roboter-Technologie basiert zunächst einmal auf einer Computertomografie des Kniegelenkes. Aus diesen Bildern kann am Computer ein dreidimensionales Modell des individuellen Patientenknies erstellt werden. Dies gibt uns ein genaues Verständnis für die jeweiligen Eigenheiten des Kniegelenks und wir können bei der Planung der Kniegelenksprothese individuell auf diese Gegebenheiten eingehen. Für die spätere Funktion und Stabilität im Gelenk ist nämlich die korrekte dreidimensionale Positionierung der Prothese ganz entscheidend.
Während der Operation kann man dann zusätzlich die Stabilität der Bänder mit einbeziehen und die Planung darauf anpassen und feinjustieren. Der MAKO-Operationsroboter hilft dann dem Chirurgen bei der exakten Umsetzung dieses Computerplanes. Der Roboter führt dabei die Sägeschnitte nicht selbst durch, sondern das macht weiterhin der Operateur. Dadurch, dass die Säge aber an einem Roboterarm montiert ist, kontrolliert dieser permanent die richtige Schnittebene und stoppt die Säge, wenn der vorher definierte Sägebereich verlassen wird. So wird die Gefahr von Weichteilverletzungen minimiert, wie auch das Risiko eines falschen Sägeschnitts. Für den Operateur wird die Operation selbst etwas weniger handwerklich, dafür steigen die intellektuellen Herausforderungen. Er ist zusammen mit einem MAKO-Spezialisten für die gesamte Planung und vor allem die Feinabstimmung des Plans verantwortlich. Zur Veranschaulichung haben wir auch ein Operationsvideo zu dem gesamten Ablauf auf unserer Webseite www.articon.ch publiziert.“
Hat der verstärkte Einsatz moderner Technologien auch Einfluss auf die Therapiemöglichkeiten?
Dr. Christen: „Ja, ein wenig schon. Unsere Praxis war immer schon auf die Prothesenchirurgie spezialisiert und vor allem sind wir für die Teilprothetik am Kniegelenk überregional bekannt. In nahezu 50% der Fälle implantieren wir solche Prothesen, die nur einen Teil des Kniegelenks ersetzen. Gegenüber einer Totalprothese, kann bei einer Teilprothese der gesamte Bandapparat am Kniegelenk inklusive der Kreuzbänder erhalten werden, was dem Patienten eine bessere Bewegungskontrolle mit der Prothese ermöglicht und in der Regel auch eine raschere Rehabilitation. Durch die Präzision der Robotertechnik konnten wir dieses Spezialgebiet sogar noch weiter ausbauen. Zum Beispiel ist jetzt auch die Kombination von zwei Teilprothesen miteinander möglich, wenn der Bandapparat noch gut erhalten ist, aber mehr als nur ein Kompartiment des Kniegelenkes einen schmerzhaften Verschleiß (Arthrose) aufweist. Diese Versorgung ist mit rein händischer Technik kaum reproduzierbar umsetzbar. Auch können wir die Totalprothesen wie von Dr. Calliess beschrieben genauer auf das individuelle Knie des Patienten einpassen. Auch dies führt nach unseren noch kurzfristigen Erfahrungen im Durchschnitt zu einer rascheren Rehabilitation und einer besseren Funktion.“
Wird die Roboterchirurgie in Zukunft weiter ausgebaut?
Dr. Calliess: „Davon bin ich überzeugt. Die Technisierung in unserer Gesellschaft schreitet rasch voran und in diesem Zusammenhang hängt die Medizin gegenüber anderen Bereichen eher noch hinterher. Zu einem gewissen Zeitpunkt wird man es in meinen Augen aber nicht mehr rechtfertigen können, wenn operative Fehler gemacht werden, die eventuell durch technische Unterstützung vermeidbar gewesen wären. Stand heute muss man aber noch klar sagen, dass die Roboter-Technologie ein Experten-Tool ist. Der Operateur muss ein sehr fundiertes Wissen über die Technologie und das Kniegelenk haben, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sonst wird der Unterschied und Mehrwert zu herkömmlichen Methoden nicht wesentlich sein, dafür aber wesentlich teurer. Dr. Christen und ich haben uns schon seit Jahren intensiv mit der Computerunterstützung von Operationen auseinandergesetzt und gehören in Europa zu den Vorreitern. Ich selbst arbeite bereits seit 2016 mit dem MAKO Roboterarm und bin auch in die Weiterentwicklung des Systems involviert. Aktuell arbeiten wir beispielsweise an einem internationalen Projekt zur Erstellung von Behandlungs-Algorithmen mit künstlicher Intelligenz mit. Damit werden in naher Zukunft die Orthopäden bei der Operationsplanung und Umsetzung unterstützt, sodass die Patientenversorgung mit einem vorhersagbaren Ergebnis und auf immer gleich hohem Niveau abläuft. Das sind sehr interessante Zukunftsvisionen.“
Warum wird die Roboterchirurgie noch nicht flächendeckend eingesetzt?
Dr. Christen: „Nun ja, das liegt sicherlich an unterschiedlichen Aspekten. Zum einen, wie Dr. Calliess bereits erwähnt hat, bedarf es für den Operateur einer gewissen Lernkurve und Routine. Er muss sich intensiv in die Technologie einarbeiten. Wir haben den Vorteil, dass wir mit weit über 200 MAKO-Operationen in anderthalb Jahren bei articon bereits über einen großen Erfahrungsschatz verfügen und auch zuvor Anwender von computerassistierter Chirurgie waren. Kenntnisse gepaart mit genuinem Interesse an neuen Technologien ist wohl nicht sehr häufig, da dies immer wieder dazu zwingt, seine eigene Komfortzone zu verlassen. Der zweite Aspekt sind sicherlich die Kosten. Die Technologie ist noch sehr teuer, weil zusätzliche Materialien benötig werden und auch der technische Support der Maschine selbst kostet. Wir haben das Glück, dass die Hirslanden Klinik Bern bereit war, an zwei Standorten in diese Zukunftstechnologie zu investieren. Außerdem haben wir einen Modus entwickelt, in dem sich der allgemeinversicherte Patient teilweise an diesen Mehrkosten beteiligt, wenn er an der MAKO-Operation interessiert ist. Die obligatorischen Versicherungen kommen für die Mehrkosten aktuell noch nicht auf, was die Finanzierung schwierig macht.
Abgesehen davon muss man natürlich auch sagen, dass sich eine neue Technologie mit ihren theoretischen Vorteilen auch immer erst einmal beweisen muss und harte wissenschaftliche Daten vorliegen müssen. Die Technologie kann nur kombiniert mit neuen Konzepten erfolgreich sein, bei der Umsetzung herkömmlicher Prothesenphilosophien sind keine substantiellen Verbesserungen zu erwarten. Da sind wir zugegeben noch in der Anfangsphase, da die Technologie noch recht neu ist. Nichts desto trotz gibt es bereits zahlreiche positive Berichte und Studien, dass zum Beispiel in Australien die Komplikationshäufigkeit bei Hemiprothesen innerhalb der ersten 3 Jahre durch den Roboter im Vergleich zur konventionellen Technik nahezu halbiert worden ist. Hier wird in Zukunft noch viel passieren. Auch unsere eigenen Erfahrungen und Daten zeigen in eine positive Richtung, sodass wir von der Technologie als Ergänzung zu unserem Therapiespektrum weiterhin sehr überzeugt sind.“
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