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Früh behandeln aber nicht zu früh operieren

ATOS MVZ Wiesbaden - Dr. med. Dirk Eiwanger und Dr. med. Alexander Mayer

Zentrum für Kniechirurgie Wiesbaden

Dr. med. Dirk Eiwanger und Dr. med. Alexander Mayer

Orthopädie

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Kniearthrose

Der Verschleiß des Kniegelenks ist ein schleichender Prozess, der individuell sehr unterschiedliche Beschwerden auslösen kann. Eine Kniearthrose erst in einem späten Stadium zu behandeln kann genauso fatal sein wie ein zu früh vorgenommener Gelenkersatz, so Dr. med. Dirk Eiwanger und Dr. med. Alexander Mayer, Spezialisten für Kniechirurgie im MVZ OCWi an der Aukammklinik in Wiesbaden.

Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO

Wie macht sich eine Kniearthrose bemerkbar?

Dr. Eiwanger: „Typisch sind Belastungsschmerzen, die beim Gehen, Laufen oder beim Treppensteigen auftreten. Auch die sogenannten ‚Anlaufschmerzen‘ nach dem Schlafen, Liegen oder Sitzen gehören zu den klassischen Warnsignalen. Wenn diese Schmerzen über einen längeren Zeitraum auftreten, sollten sie von einem Facharzt abgeklärt werden.

Wie schnell sollte man einen Orthopäden aufsuchen – ist Eile geboten?

Dr. Eiwanger: „Nein, es macht Sinn, die eigenen Beschwerden eine Weile zu beobachten. Umso besser kann man mögliche Auslöser und die Schmerzintensität später schildern. Anders sieht es aus, wenn im Kniegelenk ein akuter Schmerz oder Schwellungen auftreten. Das sollte man sofort abklären lassen.“

Podcast Kniearthrose

Wie kann eine Arthrose festgestellt werden?

Dr. Mayer: „Zunächst sollte eine ausführliche Anamnese erfolgen, also ein Gespräch mit der Patientin oder dem Patienten, in dem diese/dieser ausführlich schildern kann, welche Probleme bestehen. Das ist sehr zeitintensiv, bringt aber wertvolle Erkenntnisse. Anschließend sehen wir uns das Knie an. Dazu müssen sich die Patienten auch ausziehen, was einige durchaus wundert. Ergänzt wird diese grundlegende Untersuchung in der Regel durch bildgebende Verfahren wie Röntgen oder MRT (Magnetresonanztomographie).“

Wie geht es weiter – es hält sich ja hartnäckig das Gerücht, am Knie werde viel zu schnell operiert?

Dr. med. Dirk Eiwanger

Dr. Eiwanger: „Bei uns in der Praxis bieten wir bei Kniearthrose das gesamte Behandlungsspektrum an, von konservativ über gelenkerhaltende Operationen bis hin zum Gelenkersatz. Wir haben also alle Möglichkeiten, eine Arthrose im Kniegelenk nach ihrem jeweiligen Stadium und in Abhängigkeit von den tatsächlichen Beschwerden zu behandeln. Das mag anders aussehen, wenn ein niedergelassener Orthopäde nur konservativ behandelt oder sich andersherum vor allem auf die Kniechirurgie konzentriert. Daher sollten Patientinnen und Patienten mit Gelenkverschließ darauf achten, dass in der von ihnen gewählten Praxis oder Klinik alle Verfahren angeboten werden. Wir haben jedenfalls noch nie jemanden operiert, der das nicht wollte.“

Wie kann eine Arthrose ohne Operation behandelt werden?

Dr. med. Alexander Mayer

Dr. Mayer: „Bei einer Kniegelenksarthrose gibt es viele Stadien und passend dazu auch viele Behandlungsmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass der gleiche Befund bei einer Patientin oder einem Patienten starke Schmerzen auslöst, bei anderen gar keine. Eine konservative Therapie umfasst verschiedene Methoden. Dazu gehört eine angeleitete Physiotherapie, die später in eigenverantwortliches Training übergehen sollte. Auch Einlagen und spezielle Orthesen sind sinnvoll, um z. B. Achsfehlstellungen zu korrigieren. Und dazu gehören auch Medikamente oder Spritzen. Wir Orthopäden werden oft dafür gescholten, dass wir am Knie so gerne spritzen. Tatsächlich ist dies aber eine effektive Methode, insbesondere mit Hyaluronsäure, um den Betroffenen wieder eine schmerzfreie Bewegung und dadurch den Aufbau einer Knie-entlastenden Stützmuskulatur zu ermöglichen.“

Wie erfolgreich ist eine konservative Therapie?

Dr. Mayer: „Man muss ganz klar sagen: Eine einmal entstandene Arthrose wird nicht mehr besser. Der Verlauf einer Kniearthrose kann durch eine konservative Therapie verlangsamt oder auch mal gestoppt werden. Im Laufe der Jahre wird sie aber weiter voranschreiten. Daher eignet sich eine konservative Therapie vor allem für leichten und mittelgradigen Kniegelenksverschleiß.“

Wenn der Verschleiß bereits fortgeschritten ist – welche operativen Möglichkeiten gibt es, um das natürliche Gelenk zu erhalten?

Dr. Mayer: „Mit Hilfe der Arthroskopie, einer minimal-invasiven, sogenannten ‚Schlüsselloch-OP‘, können wir bei beginnender Arthrose Meniskusverletzungen entfernen oder glätten. Auch der Gelenkknorpel kann auf diese Art geglättet bzw. stimuliert und zum Teil regeneriert werden. Dieses Verfahren ist durch die kleinen Zugänge wenig belastend für die Patienten, ist allerdings ab einer mittelgradigen Arthrose und auch im fortgeschrittenen Alter nur noch bedingt erfolgreich. Falls eine Fehlstellung und damit eine Fehlbelastung des Kniegelenks eine einseitige Arthrose verursacht, kann eine Umstellungs-OP helfen. Dabei verlagern wir die Belastung auf den gesunden Gelenkbereich. Dieser Eingriff ist zwar umfangreicher als eine Arthroskopie. Wenn parallel dazu aber eine konservative und knorpelunterstützende Behandlung erfolgt, können wir in vielen Fällen Schmerzen nehmen und das Fortschreiten der Arthrose verlangsamen.“

Worauf sollten Patienten und Patienten achten, wenn ein Gelenkersatz ansteht?

Dr. Eiwanger: „Wichtig ist, dass zwischen Arzt und Patienten ein Vertrauensverhältnis besteht. Man muss den Patienten zuhören, sie ausführlich untersuchen und gemeinsam entscheiden. Wenn gleich beim ersten Besuch nur anhand des Röntgens ein OP-Termin vereinbart werden soll, läuft meiner Meinung nach etwas schief. Außerdem ist es legitim zu fragen ‚Wie oft operieren Sie das im Jahr‘, um herauszufinden, wie erfahren der Operateur ist. Gleichzeitig vermeiden wir es beispielsweise, bei unseren Patientinnen und Patienten zu hohe Erwartungen zu wecken. Die meisten Patienten haben einen hohen Leidensdruck und wünschen sich eine deutliche Verbesserung und dies lässt sich in der Regel auch erreichen. Aber wer das Blaue vom Himmel verspricht, darf sich nicht wundern, wenn die Patienten hinterher enttäuscht sind.“

Neben Kniegelenksprothesen in Standardgrößen gibt es auch Individuell angefertigte Endoprothesen für das Kniegelenk – sind diese in jedem Fall besser?

Dr. Mayer: „Eine individuelle Kniegelenksprothese ist nicht in jedem Fall erforderlich. Sie ist beispielsweise bei einer jungen und aktiven Patientin sinnvoll, die auch noch anatomische Besonderheiten aufweist. Auch bei extrem großen oder sehr kleinen Kniegelenken kann eine individuell angefertigte Prothese notwendig sein. Allerdings haben die Hersteller von Standardprothesen in den vergangenen Jahren neu gewonnene Erkenntnisse ausgewertet und bieten mittlerweile deutlich mehr Größen an.“

Wie erfolgreich ist ein Gelenkersatz am Knie?

Dr. Mayer: „Das optimale Ziel eines Gelenkersatzes nennt sich ‚forgotten knee‘, das ‚vergessene Knie‘. Darunter versteht man, dass Patienten sich ganz normal bewegen können, ohne darüber nachzudenken, dass sie ein künstliches Kniegelenk haben. Das ist leider nicht häufig der Fall. Aber immerhin geben die meisten Patienten an, mit ihrem Gelenkersatz gut zurechtzukommen und alle erforderlichen Bewegungen im Alltag zu bewältigen. Einige sagen, die Bewegung fühle sich etwas ‚mechanischer‘ an. Erschreckend mag für die Patientinnen und Patienten sein, dass ihr Knie nach dem Einsetzen einer Prothese zunächst schmerzt, geschwollen ist und sich warm anfühlt. Bis der endgültige Erfolg eintritt, dauert es 3 Monate bis 1 Jahr.“

Wie geht es nach der Prothesen-Operation weiter?

Dr. Eiwanger: „Unsere Patienten bleiben in der Regel 5 bis 6 Tage im Krankenhaus. Sie werden aber bereits am ersten Tag mobilisiert, d.h. sie können mit Anleitung aufstehen und ein paar Schritte gehen. Am zweiten und dritten Tag gehen sie mit Gehstützen den Flur entlang und am fünften und sechsten Tag bewältigen sie mit den Unterarmstützen bereits Treppenstufen. Das gilt übrigens nicht nur für unsere jüngeren Patientinnen und Patienten, sondern auch für Menschen im Alter von 80 Jahren und mehr. Anschließend gehen die meisten für 3 Wochen in eine stationäre oder ambulante Reha. Nach dieser Zeit sollten sie sich frei bewegen und das operierte Knie voll belasten können. Viele bekommen zusätzlich noch Krankengymnastik verordnet. Kontrolluntersuchungen finden bei uns nach 5 Wochen und erneut nach 3 Monaten statt.“

Wie groß ist die Gefahr, dass es beim Einsetzen der Kniegelenksprothese zu Komplikationen kommt?

Aukammklinik WiesbadenDr. Mayer: „Wie bei jeder Operation besteht auch hier die Gefahr einer Infektion. Wobei wir bereits im Vorfeld des Eingriffs entsprechende Vorsichtsmaßnahmen ergreifen: Unsere Patienten erhalten für die Tage vor der OP ein Waschset, um die Haut möglichst keimarm zu halten. Wir geben routinemäßig ein Antibiotikum und kleben freiliegende Hautpartien nach der Desinfektion zusätzlich mit einer jodhaltigen Folie ab.  Falls sich trotzdem eine Infektion entwickelt, können wir umgehend reagieren, da unsere Patienten ja eine knappe Woche im Krankenhaus bleiben. Andere Komplikationen wie eine Thrombose, eine Embolie oder Blutungen sind mittlerweile selten geworden. Auch dass eine Prothese ganz falsch liegt, kommt bei uns quasi nicht vor. Wir gehen sehr sorgfältig Schritt für Schritt vor. Während einige Kollegen den Eingriff in 45 Minuten bewältigen, brauchen wir in der Regel 1 Stunde 20 Minuten.“

Gibt es auch Patienten, die mit ihrer Kniegelenksprothese überhaupt nicht klar kommen?

Dr. Mayer: „Nach offiziellen Angaben sind 80 Prozent der Operierten mit ihrer Endoprothese zufrieden, bei 10 Prozent geht es einigermaßen und 10 Prozent sind unzufrieden. Bei uns treffen diese Zahlen nicht zu: Es sind zum Glück nur wenige, die nicht glücklich sind. Ich fürchte, es hängt davon ab, ob der Gelenkersatz zum richtigen Zeitpunkt gewählt wurde. Bei hohem Leidensdruck ist man für jede Verbesserung dankbar. Umgekehrt ist eine zu frühe Prothesen-OP ungeschickt, weil die Erwartungen vermutlich zu hoch sind und kein gutes Ergebnis erzielt werden kann.“

Welche Bewegungen sind mit einer Kniegelenksprothese möglich, welche nicht?

Dr. Eiwanger: „Das hängt stark von der Beweglichkeit und Aktivität der Patienten vor der Operation ab. In der Werbung für Gelenkprothesen wimmelt es leider vor grauhaarigen Männern und Frauen, die trotz Gelenkprothese mit dem Mountainbike die Berge hochstrampeln oder Laufsport betreiben. Das halte ich für den Durchschnitt der Patienten zu ambitioniert, auch wenn einige dies natürlich mit ihrem Kunstgelenk tun. Zumal wir ja nur die Mechanik des Kniegelenks erneuern, aber keinen Einfluss auf die Muskulatur und Fitness haben. Gleichwohl ist es grundsätzlich kein Problem, mit einer Kniegelenksprothese Rad oder Ski zu fahren, zu Wandern, Schwimmen, Fitness zu treiben und zum Teil sogar Laufsport zu betreiben.“

Wie lange hält eine Kniegelenksprothese?

Dr. Mayer: „Das ist eine schwierige Frage, weil sich die Prothesen in ihrer Qualität laufend verbessern und wir jetzt Kniegelenksprothesen nachuntersuchen, die zum Teil vor mehr als einem Jahrzehnt implantiert wurden. Als Richtwert gilt, dass nach 15 Jahren noch 90 Prozent der Implantate funktionsfähig sind. Falls bei jüngeren Patienten ein Gelenkersatz ansteht, sollte man sie daher über die Möglichkeit und Notwendigkeit eines Prothesenwechsels aufklären.“

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