Fehlstellungen der Beinachse rechtzeitig korrigieren
Umstellungsosteotomie
Eine Fehlstellung führt häufig zu einer Fehlbelastung im Kniegelenk, die einen frühzeitigen Gelenkverschleiß (Arthrose) auslösen kann, erklärt Prof. Dr. med. Wolf Petersen, Spezialist für Kniechirurgie und Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie im Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Wie kommt es zu einer Fehlstellung des Knies?
Prof. Petersen: „Wir unterscheiden zwischen angeborenen und erworbenen Deformitäten. Die meisten Fehlstellungen sind angeboren und führen erst später im Leben zu Verschleißerscheinungen. Es gibt aber durchaus auch erworbene Fehlstellungen, die sich nach Verletzungen wie z.B. einem Schienbeinkopfbruch (Tibiakopffraktur) oder einem Oberschenkelhalsbruch entwickeln. Die häufigste Fehlstellung der Beinachsen ist das O-Bein, das zu einer Überlastung der Innenseite des Kniegelenks führt. Natürlich leben viele Menschen weitgehend beschwerdefrei mit X- oder O-Beinen. Wenn zu so einer Fehlstellung dann allerdings noch eine Meniskusverletzung, Bandinstabilitäten oder gar eine Ruptur (Riss) des vorderen Kreuzbands hinzukommen, schreitet der Knorpelabbau im Kniegelenk rasch voran, so dass Handlungsbedarf entsteht.“
Kann die Beinachse ohne Operation korrigiert werden?
Prof. Petersen: „ Schuheinlagen oder eine Orthese, eine äußerliche Schiene, können bei leichten Deformitäten und auch Instabilitäten der Bänder eine Stabilisierung bewirken und eine Fehlbelastung sowie Beschwerden verringern. Allerdings kommt eine Orthese nur als Übergangslösung für wenige Monate in Frage. Den meisten Patienten ist es zu unbequem, sie über Jahre zu tragen. Aber man muss sich im Klaren sein, dass die eigentliche, knöcherne Deformität sich nicht durch Einlagen oder Orthesen korrigieren lässt.“
Wie funktioniert eine Umstellungsoperation?
Prof. Petersen: „Es gibt verschiedene Techniken, die abhängig sind von der Art der Fehlstellung. Bei O-Beinen erfolgt die Korrektur meist auf der Innenseite des Unterschenkels, bei X-Beinen meist im Oberschenkel. Dabei muss auch die Beinlänge beachtet werden: Um sie zu korrigieren bzw. anzugleichen, kann je nach gewünschtem Effekt eine aufspreizende oder eine zuklappende Beinachsenkorrektur erfolgen. Bei der Umstellungsoperation wird an der entsprechenden Stelle ein 5 bis 6 Zentimeter langer Hautschnitt ausgeführt, der Knochen aufgesägt, im erforderlichen Winkel gespreizt und anschließend mit einer Platte fixiert. Bei sehr großen Spreizwinkeln kann die Spalte mit Knochenspendermaterial aufgefüllt werden. Dies ist allerdings selten notwendig.“
Wie belastend ist eine Beinachsenkorrektur für die Patienten?
Prof. Petersen: „Natürlich ist es keine Arthroskopie sondern eine offene Operation. Allerdings beobachten wir häufig, dass sich die Patienten im Vorfeld Sorgen machen, die sich später als unbegründet herausstellen. Sie bleiben in der Regel nur 4 Tage in der Klinik und können bereits am Tag nach dem Eingriff aufstehen.“
Welche Vorteile hat eine Korrektur der Beinachse im Vergleich zu einem Gelenkersatz?
Prof. Petersen: „Ein Gelenkersatz ist eine befristete Lösung, die sich bei jüngeren Patienten unter 55 Jahren nicht anbietet. In den Fällen wäre eine Wechseloperation nach 15 bis 20 Jahren unumgänglich. Neben dem Alter spielt auch der Aktivitätsgrad der Patienten eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, eine Umstellungsoperation oder einen Gelenkersatz vorzunehmen. Das natürliche Gelenk funktioniert immer besser als jede noch so gute Prothese. Häufig wird durch eine Beinachsenkorrektur sogar eine Verbesserung der Beweglichkeit erreicht.“
Welche Nachsorge ist notwendig?
Prof. Petersen: „Zur Mobilisierung reicht eine normale Physiotherapie. Ein Reha-Aufenthalt wie nach einem Gelenkersatz ist nicht erforderlich. Wir mobilisieren unsere Patienten nach einem neuen Konzept: Sie dürfen das Kniegelenk während der ersten zwei Wochen nach dem Eingriff nur mit 10 bis 20 kg belasten und erhalten dazu Gehstützen. Bereits ab der dritten Woche ist eine Vollbelastung möglich. Damit einher geht eine verkürzte Thromboseprophylaxe. Dieses Konzept ist für viele Patienten sehr attraktiv, da es ihnen eine rasche Rückkehr in den Beruf ermöglicht. Standard in vielen Kliniken ist allerdings eine Teilbelastung für 6 statt wie bei uns für nur 2 Wochen. Sportlich gibt es anschließend keine Einschränkungen. Allerdings sollte sich jeder, der unter einer Kniegelenksarthrose leidet, fragen, welche Sportarten ihm gut tun und welche ihm eher schaden können.“
Wie lange sind Patienten nach einer Umstellungsoperation arbeitsunfähig?
Prof. Petersen: „Dies ist abhängig davon, ob sie einer sitzenden oder körperlichen Tätigkeit nachgehen. Nach zwei Wochen Teilbelastung die Arbeit im Büro aufzunehmen, ist kein Problem. Bei körperlichen Arbeiten, die eine Vollbelastung erfordern, kann der Ausheilungsprozess allerdings 3 bis 6 Monate beanspruchen.“
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass nach einer Beinachsenkorrektur doch ein Gelenkersatz erfolgen muss?
Prof. Petersen: „Ein Kollege von mir untersucht diese Frage gerade im Rahmen seiner Doktorarbeit. Seine bisherigen Auswertungen haben ergeben, dass 15 Prozent der Patienten 10 Jahre nach einer Umstellungsoperation ein künstliches Kniegelenk erhalten. Im Umkehrschluss heißt dies allerdings auch, dass mehr als 80 Prozent der Patienten auch 10 Jahre nach einer Umstellungsoperation noch gut klar kommen. Wie lange Patienten von einer Beinachsenkorrektur profitieren, hängt auch vom Verschleißstadium zur Zeit der Operation ab. Wer mit einer Arthrose 2. Grades und erst beginnenden Meniskusschäden operiert wird, kommt mit etwas Glück ohne einen späteren Gelenkersatz aus. Erfolgt die Umstellungsoperation erst bei einer Arthrose 4. Grades und fehlendem Meniskus, ist es nur eine Überbrückungslösung bis zur Kniegelenksprothese. Generell ist unser Ziel, den Patienten mit einer Beinachsenkorrektur 10 bis 20 Jahre Beschwerdefreiheit zu sichern.“
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