Mit Operationsroboter Fehlerfaktor "Mensch" minimieren
Medizinrobotik
Operationsroboter in der Medizin sind auf dem Vormarsch. Beim Einsetzen künstlicher Gelenke erhöhen sie die Operationssicherheit und ermöglichen eine individuelle Operationsplanung.
Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Reinhard K. bekommt ein künstliches Kniegelenk. Dazu muss die beschädigte Knorpeloberfläche des Gelenkes entfernt werden, um sie später durch eine künstliche zu ersetzen. Die Säge führt PD Dr. Tilman Calliess, Facharzt für Orthopädische Chirurgie in der articon Spezialpraxis für Gelenkchirurgie in Bern/Schweiz.
Wo er die Säge ansetzt und wie weit er sägt wird vor der Operation exakt an einem dreidimensionalen Modell des Kniegelenkes geplant und mit Hilfe eines Operationsroboters präzise im Operationssaal umgesetzt. Der Roboterarm fährt die Säge in die exakte Position und stoppt automatisch an den eingestellten Knochengrenzen, um ein Versägen in die Weichteile zu verhindern.
„Die gesamte Planung für die Knieprothesen-Operation erfolgt am Computer“, erklärt Dr. Calliess. Vor dem Eingriff werden Computertomographie (CT) - Bilder erstellt, die die Knochen des Patienten abbilden. In der Operation können dann noch die Weichteile und die Stabilität des Gelenkes gemessen und in das System aufgenommen werden. „Nach diesen individuellen anatomischen Vorgaben planen wir den Eingriff millimetergenau. So kann die Prothese individuell positioniert und eine gute Stabilität im Kniegelenk sichergestellt werden.
Der Operateur denkt, der Roboter lenkt
Dr. Calliess hat sich bereits früh für den Partner „Roboter“ entschieden. Er hat Erfahrung mit zwei verschiedenen Systemen gesammelt, zunächst an der Medizinischen Hochschule Hannover, seit Sommer 2018 nun in Bern.
„Vor wenigen Jahren noch musste der Chirurg während der Operation im Gefühl haben, welche individuelle Weichteilspannung der Patient hat.“ Diese ist wichtig für den optimalen Bewegungsablauf mit dem künstlichen Kniegelenk. „Heute registrieren Kameras anhand von zuvor festgelegten Messpunkten die Spannung der Bänder und der Gelenkkapsel, die das Kniegelenk führen. Passend dazu können wir am Computer die Position der Prothese wählen, die am besten zu der natürlichen Anatomie des Patienten passt. Die Spannung der Weichteile wird objektivierbar und kann so verlässlich eingestellt werden.“
Erst dann setzt Dr. Calliess das Skalpell an. Den Hautschnitt, die Präparation des OP-Bereichs und das Einführen des Roboterarms übernimmt der Chirurg. Das notwendige Fräsen und Sägen führt er mit Hilfe des navigationsgesteuerten Roboters aus. Durch die Eingabe von Markern wird der Bereich begrenzt, wo der natürliche Knochen entfernt wird, um die Prothese später zu verankern. Nur wenn diese Marker eine Passgenauigkeit von maximal 0,5 Millimetern aufweisen, gibt der Computer die Operationsplanung frei. „Der Chirurg übernimmt also weiterhin die wesentlichen Operationsschritte und die Entscheidungen, der Roboterarm ist als Hilfestellung für die präzise Planung und Umsetzung zu verstehen“ kommentiert Dr. Calliess den Arbeitsablauf.
Den Fehlerfaktor Mensch minimieren
Robotergestützte Knie- und Hüftoperationen seien präziser und sicherer als die manuell ausgeführten Eingriffe, bestätigt Dr. Calließ. „Computer und Roboter minimieren den Fehlerfaktor Mensch. Wir haben dank der Roboterchirurgie weniger Weichteilverletzungen, so dass die Gefahr möglicher Komplikationen schwindet und auch die Rehabilitation der Patienten schneller gelingt. Händisch gibt es immer eine Fehlerquote von mehreren Millimetern. Robotisch liegt die Fehlerquote im Kommabereich hinter der Null.“
Auch das Revisionsrisiko sei deutlich gesunken. „Die neuesten Daten belegen, dass ein Austausch, insbesondere bei Teilprothesen, sehr viel seltener erfolgen muss, wenn das Einsetzen mit Hilfe des Operationsroboters vorgenommen wurde.“ Angst vor „Doktor Roboter“ haben nur die wenigsten Patienten, berichtet Dr. Calließ. „Selbstverständlich dürfen unsere Patienten entscheiden, ob sie konservativ und navigationsgestützt oder zusätzlich roboterassistiert operiert werden. Das Verfahren wird aber sehr positiv aufgenommen, das wichtigste Argument ist die verbesserte Sicherheit und Individualisierung. Etwa 90 Prozent der Patienten entscheiden sich für den Einsatz des Roboters.“
Teure Technik mit Einsparpotential
Dass robotergestützte Eingriffe teurer sind als konservative Verfahren versteht sich von selbst. Hinter den heutigen Operationssystemen steckt sehr viel Entwicklungsarbeit. Die Technik hat ihren Preis. Aber auch das „Drumherum“ kostet, erklärt Dr. Calließ.
„Wir benötigen beim Einsatz der Roboter deutlich mehr Einwegmaterial zum Abdecken. Im Vorfeld muss eine Computertomographie (CT) erfolgen und der gesamte Operationsablauf ist aktuell noch personalintensiv. Der Entscheidung, ob beim Einsetzen von Knie- oder Hüftprothesen der Operationsroboter zum Einsatz kommt, müsse immer eine Kosten-Nutzen-Abwägung der Verantwortlichen vorausgehen. Sobald die Roboter noch selbständiger agieren können, als es jetzt der Fall ist, benötigt man aber sicher auch weniger Personal im OP. Das könnte langfristig sogar Kosten einsparen. Insbesondere aber die Vermeidung von Komplikationen und Re-Operationen hat ein großes ökonomisches Potential und ist auch gesellschaftspolitisch interessant.
Um hier weitere belastbare Zahlen zur Wirtschaftlichkeit, Patientensicherheit und auch zum klinischen Operationsergebnis zu schaffen, ist Dr. Calliess mit seinem gesamten Praxisteam an der kontinuierlichen Datenerhebung und wissenschaftlichen Auswertung beteiligt. „Eine neue Technologie muss sich schließlich auch immer vor dem wissenschaftlichen Hintergrund beweisen und es ist daher auch unser Anspruch, den Mehrwert im Langzeitverlauf darzustellen“. Entsprechend ist Dr. Calliess aktuell auch auf wissenschaftlichen Kongressen ein gefragter Redner.
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