„Maßanzüge“ für das Kniegelenk
Knieprothesen
Individuelle 3D-Implantate und ein „Rapid Recovery“-Verfahren tragen dazu bei, die Erfolgs- und Zufriedenheitsrate beim Einsetzen von Kniegelenksprothesen deutlich zu verbessern. PD Dr. med. Sandro Kohl ist Spezialist für Endoprothetik und Praxisinhaber der Ortho-Kohl AG am Trauma Zentrum Klinik Hirslanden in Zürich/Schweiz. Er beantwortet die wichtigsten Fragen zu modernen Kniegelenksprothesen.
Interview: Susanne Amrhein
Patienten haben häufig große Angst vor dem Implantieren einer Kniegelenksprothese – ist das gerechtfertigt?
Dr. Kohl: „Angst: Nein, Respekt: Ja. Viele Menschen mit Knieproblemen suchen sich zunächst Informationen und Erfahrungsberichte bei Freunden, Bekannten oder im Internet. Die Gefahr, hier negative oder positive Informationen zu erhalten, die überhaupt nicht zur eigenen Situation passen, ist groß. Wichtig ist, die Patienten ausführlich aufzuklären und zu besprechen, ob sich die Wünsche der Patienten hinsichtlich einer Knieendoprothese realisieren lassen oder nicht. Hier sind Ehrlichkeit und Einfühlungsvermögen gefragt. Eine Teilnahme am Ironman auf Hawaii ist z.B. auszuschließen. Auf der anderen Seite können wir mit Hilfe individuell angepasster Implantate und dem Rapid Recovery-Verfahren eine Erfolgs- und Zufriedenheitsquote von mehr als 85 Prozent aufweisen. Die restlichen 15 Prozent erklären sich zum größten Teil dadurch, dass zu hohe Erwartungen nicht erfüllt wurden.“
Was versteht man unter einem Fast Track- oder Rapid Recovery-Verfahren?
Dr.Kohl: „Vor zehn bis fünfzehn Jahren war es noch üblich, dass Patienten nach dem Einsetzen eines künstlichen Kniegelenks zwei bis drei Wochen im Krankenhaus bleiben mussten, am besten mit viel Bettruhe. Inzwischen wissen wir: Je schneller es uns gelingt, die Patienten wieder zu mobilisieren, desto besser ist das Ergebnis und desto geringer ist das Risiko von Komplikationen. Die genannten Verfahren sind eine Kombination aus ausführlicher Aufklärung, angepasster Narkose, moderner OP-Technik und einem individuellen Schmerzmanagement. Dazu gehört auch, bereits vor dem Eingriff das Verhalten nach der OP zu trainieren. Das heißt, sie erhalten unter anderem im Vorfeld eine Physiotherapie und lernen, an Stöcken zu gehen. Dies nimmt die Angst und erleichtert später die Mobilisierung. Im Normalfall bleiben Patienten nach dem Einsetzen einer Kniegelenksprothese im Durchschnitt neun Tage in der Klinik. Mit dem Rapid Recovery-Verfahren verkürzt sich der Aufenthalt auf vier bis fünf Tage.“
Welche Vorteile haben patientenspezifische 3D-Implantate?
Dr. Kohl: „Ich vergleiche das gerne mit einem Maßanzug: Wenn man sich für einen entschieden hat, wird er vom Schneider optimal angepasst. 3D-Implantate sind sozusagen die Maßanzüge für das Kniegelenk. Jedes Knie funktioniert ein bisschen anders, die Knochenbeschaffenheit ist individuell und nicht immer passt ein Standardimplantat, das es in Größenabständen von jeweils zirka vier Millimetern gibt. Der Vorteil einer 3D-Kniegelenksprothese ist, dass wir knochensparend und eng am Originalgelenk arbeiten. Auch bestätigen erste Registerdaten, dass die Patientenzufriedenheit höher und die und Frührevisionsrate geringer ist. Eine individuelle 3D Prothese erfordert allerdings eine hohe Expertise sowie präzise Ausführung der Planung und Operation. Der einzige Nachteil ist, dass der Patient bereit sein muss, für die Herstellung sechs bis sieben Wochen zu warten.“
Macht es Sinn, zunächst eine Teilprothese statt einer Vollprothese zu wählen?
Dr. Kohl: „Der große Vorteil der Teilprothesen ist, dass nur ein Kompartiment (Seite) des Knies ersetzt wird und die natürliche Mechanik des Kniegelenks erhalten bleibt. Eine Vollprothese dagegen verändert etwas die biomechanischen Bewegungsabläufe. Teilprothesen müssen allerdings perfekt eingepasst sein, damit sie gut funktionieren. Die Operation selbst ist komplexer und die Revisionsrate in den ersten ein bis drei Jahren ist deutlich höher als bei Vollprothesen. Für die Patienten ist das Einsetzen einer Teilprothese dennoch weniger belastend: Es ist nur ein kleiner Schnitt notwendig, das OP-Trauma ist geringer und auch der Klinikaufenthalt kürzer. Im Anschluss sind prinzipiell alle Bewegungen und Sportarten möglich. Allerdings sollte man bedenken, dass es sich um eine mechanische Konstruktion handelt, die bei starker Belastung abnutzen kann. Tennisspielern rate ich z.B., lieber Doppel- als Einzelmatches zu spielen und die Belastung etwas zurückzufahren. Falls sich die Teilprothese nach einigen Jahren lockert oder Probleme bereitet, kann sie immer noch durch eine Vollprothese ersetzt werden.“
Unsere Gesellschaft wird immer älter – wie häufig sind Revisionen notwendig?
Dr. Kohl: „Grundsätzlich sollten gut implantierte moderne Vollprothesen heute zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre, Teilprothesen zwischen zehn und fünfzehn Jahre halten. Revisionen sind jederzeit möglich, sogar mehrfach, falls es notwendig ist. Wir versuchen immer, so knochensparend wie möglich zu operieren, so dass genügend Knochen zur Befestigung verbleibt. Es ist möglich, einzelne Teile oder die gesamte Prothese auszutauschen. Das ist wichtig, denn die Zeiten der unbeweglichen Alten sind vorbei – heute haben wir 85-Jährige, die drei Monate nach einem Protheseneingriff wieder auf Skiern stehen möchten. Da es gerade in Bezug auf Knieprothesen eine hohe Operationsbereitschaft gibt, wird auch die Zahl der Revisionen weiter steigen. Wir haben bei uns in der Praxis eine Extra-Sprechstunde für schmerzhafte Knieprothesen eingerichtet. Die Abklärung ist sollte individuell angepasst und allumfassend geschehen. Manchmal sucht man die Nadel im Heuhaufen, aber bevor es zu einer Revisionsoperation kommt sollte die Ursache der Schmerzen unbedingt bekannt sein. Nur so kann man dem Patienten ein Höchstmaß an Sicherheit bieten von einer Prothesenrevision zu profitieren.“
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