Die Operation ist nur ein Baustein der Gewichtsabnahme
Adipositaschirurgie
Die Enttäuschung ist groß, wenn das Übergewicht nach einer Adipositas-Operation nicht so sehr schrumpft, wie erhofft. Aber eine Operation reicht manchmal nicht aus, erklärt Dr. med. Plamen Staikov, Spezialist für Adipositaschirurgie, Ärztlicher Direktor und Chefarzt des Adipositaszentrums im Krankenhaus Sachsenhausen in Frankfurt.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Wie kommt es, dass einige Adipositas-Patienten trotz Operation nicht ausreichend abnehmen?
Dr. Staikov: „Man muss zunächst einmal wissen, dass Adipositas eine chronische, nicht heilbare Krankheit ist. Die Behandlung von starkem Übergewicht und Fettleibigkeit erfolgt in verschiedenen Stufen. Nur eine Stufe davon ist die Operation, bei der eine Verkleinerung des Magenvolumens erfolgt oder die Aufnahme der Nährstoffe im Verdauungstrakt reduziert wird.
Ein großes Problem ist, dass sich die meisten Patienten in Deutschland viel zu spät für eine Adipositas-Operation vorstellen. In den Benelux-Staaten, Skandinavien und auch der Schweiz erfolgen diese gewichtsreduzierenden Eingriffe im Durchschnitt zehn Jahre früher als bei uns. Patienten werden dort häufig ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 40 operiert, während wir viele Patienten erst dann zu einem Eingriff sehen, wenn sie bereits einen BMI von über 50 haben. Bei einem so großen und manifestierten Übergewicht reicht eine Operation dann oft nicht aus.“
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es für Patienten, die trotz Magenverkleinerung nicht genug Gewicht verlieren?
Dr. Staikov: „Die Folgebehandlung richtet sich nach der Menge des Übergewichts, die noch reduziert werden sollte. Bei wenigen Kilo Übergewicht können Bewegungs- und Ernährungsprogramme Erfolg bringen. Bestehen aber weiterhin mehr als 20-30kg Übergewicht ist in der Regel eine zweite Operation notwendig. Dies betrifft häufig Patienten, die mit einem sehr hohen Ausgangsgewicht, z.B. mit einem BMI ab 50, das erste Mal operiert werden. Diesen Patienten erläutern wir bereits im Aufklärungsgespräch, dass eventuell zwei Operationen notwendig sind, um einen ausreichenden Gewichtsverlust zu erzielen.“
Wie aufwendig und riskant ist eine weitere Adipositas-Operation?
Dr. Staikov: „Ein Revisions- oder Zweieingriff ist in jedem Fall technisch anspruchsvoller als eine Erstoperation und gehört in die Hände von erfahrenen Experten, am besten in einem renommierten Adipositaszentrum. Um den notwendigen Gewichtsverlust zu erreichen, der mit dem ersten Eingriff noch nicht möglich war, ist es im zweiten Schritt nun umso wichtiger, das richtige Verfahren auszuwählen.“
Wie belastend sind Revisionseingriffe für die Patienten?
Dr. Staikov: „Die Patienten empfinden sie in der Regel als weniger belastend als die erste Adipositas-Operation. Sie kennen den Ablauf, den positiven Effekt und die Grundregeln für das Verhalten nach dem Eingriff. Wir führen auch Zweiteingriffe bei Adipositas immer minimal-invasiv in der sogenannten Schlüsselloch-Technik durch, einem schonenden Operationsverfahren, nach dem die Patienten schnell wieder fit sind. In geübten Händen dauern diese Eingriffe 30 bis 60 Minuten.“
Gibt es Ausschlusskriterien für Zweiteingriffe bei Adipositas?
Dr. Staikov: „Die häufigste Gegenanzeige sowohl bei einer ersten als auch einer zweiten Adipositas-Operation ist regelmäßiger und übermäßiger Alkoholkonsum. Wenn Patienten einen Eingriff wünschen, müssen sie längerfristig auf Alkohol verzichten und entsprechende Nachweise erbringen. In diesen Fällen ziehen wir auch Psychologen zu Rate.“
Welche Rolle spielt die Nachsorge bei Adipositas-Patienten?
Dr. Staikov: „Sie spielt eine herausragende Rolle für den Erfolg der Gewichtsreduzierung. Leider hinkt Deutschland in diesem Bereich ziemlich hinterher. Allein bei uns im Adipositaszentrum im Krankenhaus Sachsenhausen führen wir mehr als 1.000 Adipositas-OPs pro Jahr durch. Aber deutschlandweit fehlen die Strukturen und die finanziellen Möglichkeiten, um nach einer solchen OP auch eine ausreichende Betreuung der Adipositas-Patienten zu gewährleisten. Es ist ein großer logistischer Aufwand, der für jeden Einzelnen individuelle Konzepte erfordert. Wir erklären unseren Patienten im Vorgespräch, dass sie eine lebenslange Nachsorge benötigen:
Sowohl was die Kontrolle des Gewichts- und Essverhaltens betrifft, als auch den Ausgleich von Mangelerscheinungen im Mineralstoff- und Vitaminhaushalt, der bei bis zu 40 Prozent der operierten Patienten behandlungsbedürftig ist. Bei Patienten, bei denen eine malabsorbierende Methode (Reduzierung der Nährstoffaufnahme, z.B. bei Magenbypässen) gewählt wurde, ist zudem eine regelmäßige Messung der Knochendichte erforderlich. Eine Magenverkleinerung (Schlauchmagen) kann beispielhaft zu Entzündungen des unteren Teils der Speiseröhre führen, die zunächst oft unentdeckt bleiben, später aber unangenehme Reflux-Beschwerden auslösen (Sodbrennen durch den Rückfluss von Magensäure in die Speiseröhre).
Während z.B. für Diabetes-Patienten ein klares Versorgungskonzept existiert, das von den Krankenkassen bezahlt wird, fehlt dies für Adipositas-Patienten. Die lebenslange Nachbehandlung ist aufwändig und zeitintensiv. Es gibt gerade für die ambulante Versorgung keine klaren Regelungen, welche Leistung wie bezahlt wird. Daher gibt es in Deutschland zu wenige, ausreichende Nachsorgeangebote.“
Übergewicht und auch Adipositas in Europa nehmen immer mehr zu – was muss sich ändern?
Dr. Staikov: „Genetische Vorbelastungen können wir nicht beeinflussen, sehr wohl aber unser Ernährungs- und Bewegungsverhalten. In Deutschland kann ich zudem nur jedem Patienten mit starkem Übergewicht oder Adipositas empfehlen, sich frühzeitig bei einem Spezialisten vorzustellen. Je früher eine Behandlung erfolgt, desto besser sind die Erfolgsaussichten. Und eine Adipositas-Operation ist unter Umständen vielleicht gar nicht mehr nötig.“
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