Speiseröhrenkrebs – leider oft zu spät entdeckt
Ösophaguskarzinom
In Deutschland erkranken jedes Jahr bis zu 8000 Menschen an Speiseröhrenkrebs. Im frühen Stadium können Schluckbeschwerden und Sodbrennen Warnsignale sein, erklärt Prof. Dr. med. Wolfram T. Knoefel, Spezialist für Viszeralchirurgie und Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie im Universitätsklinikum Düsseldorf.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Welche Karzinome können in der Speiseröhre auftreten?
Prof. Knoefel: „Wir unterteilen Speiseröhrenkrebs (Ösophaguskarzinome) in zwei häufige Arten, die sich sowohl in ihrer Entstehung, als auch in ihrer Behandlung unterscheiden: Das ist zum einen das sogenannte Plattenepithelkarzinom. Es tritt vor allem im oberen Bereich der Speiseröhre auf und geht aus der oberen Hautschicht, dem Deckgewebe der Speiseröhre, hervor. Sogenannte Adenokarzinome befinden sich dagegen im mittleren bis unteren Abschnitt der Speiseröhre. Dabei handelt es sich um entartete Drüsenzellen, die aus dem Magen in die Speiseröhre hochgewachsen sind. Bei Speiseröhrenkrebs handelt es sich heutzutage in 60-70 Prozent der Fälle um Adenokarzinome.“
Wie häufig tritt Speiseröhrenkrebs auf?
Prof. Knoefel: „Im Gesamtvergleich der onkologischen Erkrankungen ist das Ösophaguskarzinom eine eher seltene Krebsart. Sie ist für etwa zwei Prozent der Krebserkrankungen bei Männern und ein Prozent bei Frauen verantwortlich. In Zahlen bedeutet das in Deutschland zwischen 7000 und 8000 Neuerkrankungen pro Jahr.“
Gibt es Risikogruppen, die besonders häufig an Speiseröhrenkrebs erkranken?
Prof. Knoefel: „Männer sind mehr als doppelt so häufig von Ösophaguskarzinomen betroffen wie Frauen. Häufig tritt Speiseröhrenkrebs in einem Alter zwischen Mitte 50 und 75 Jahren auf. Zu den Risikofaktoren für die Entstehung eines Plattenepithelkarzinoms zählen Rauchen und Alkoholmissbrauch. Auch zu heißes oder zu scharfes Essen kann diese Art von Speiseröhrenkrebs auslösen. Allerdings beobachten wir die beiden letzteren Ursachen vor allem in asiatischen Ländern, wie z.B. Japan. Der Entstehung eines Adenokarzinoms geht fast immer anhaltendes Sodbrennen, die sogenannte Reflux-Krankheit, voraus, bei der Magensäure zurück in die Speiseröhre fließt.“
Welche Symptome bzw. Warnsignale verursacht Speiseröhrenkrebs?
Prof. Knoefel: „Anhaltendes Sodbrennen ist ein Alarmsignal, das Betroffene unbedingt ernst nehmen sollten. Sodbrennen ist häufig eine Vorstufe zu einem Ösophaguskarzinom. Das gleiche gilt, wenn ein ständiges Sodbrennen plötzlich von einem Tag auf den anderen verschwindet. In beiden Fällen ist eine Magenspiegelung ratsam, um die Ursachen zu ergründen. Das Plattenepithelkarzinom äußert sich vor allem durch Schluckstörungen. Die Patienten haben den Eindruck, die Nahrung bleibt in der Speiseröhre stecken und sie müssen mit einem Getränk nachspülen. Manchmal kommt es in diesem Zusammenhang auch zu Luftnot. Im späteren Stadium können Heiserkeit und Husten hinzukommen.“
Wie wird Speiseröhrenkrebs diagnostiziert?
Prof. Knoefel: „Leider gibt es bei uns keine Früherkennungsuntersuchungen für Speiseröhrenkrebs. Und noch bedauerlicher ist, dass die Symptome des Ösophaguskarzinoms häufig nicht besonders ausgeprägt sind, so dass Patienten erst spät zu uns kommen, wenn der Krebs bereits ein höheres Stadium erreicht hat. Oder aber die Erkrankung wird als Zufallsbefund bei einer anderen Untersuchung festgestellt. Bei Verdacht auf Speiseröhrenkrebs oder bei anhaltenden Beschwerden ist eine Magenspiegelung das A und O. Per Ultraschall oder Blutmarker lässt sich diese Erkrankung leider nicht nachweisen. Allerdings ist eine Magenspiegelung eine sehr effektive und wenig belastende, ambulant durchzuführende Untersuchungsmethode. Ein Speiseröhrenkrebs kann damit verlässlich ausgeschlossen werden. Falls Veränderungen festgestellt werden, können mit Hilfe des Endoskops gleichzeitig Proben entnommen werden. Kleinere Tumore können während der Magenspiegelung direkt abgetragen werden, ähnlich der Entfernung von Polypen bei einer Darmspiegelung. Je früher Speiseröhrenkrebs festgestellt wird, desto besser lässt er sich behandeln.“
Wie wird Speiseröhrenkrebs behandelt?
Prof. Knoefel: „Die Behandlung ist abhängig von der Lage, der Art, dem Stadium des Tumors und dem allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten. Wird Speiseröhrenkrebs frühzeitig erkannt, d.h. es handelt sich um eine Vorstufe oder einen oberflächlichen Tumor ohne Befall der Lymphknoten, kann dieser bereits bei einer Spiegelung der Speiseröhre endoskopisch entfernt werden. Leider kommen die meisten Patienten erst in einem fortgeschrittenen Stadium zu uns. In diesem Fall wird der Patient in der Regel mit einer kombinierten Strahlen- und Chemotherapie vorbehandelt, um die Tumormasse zu verringern. Studien haben nachgewiesen, dass diese kombinierte Therapie die Langzeitergebnisse der Behandlung deutlich verbessert. Anschließend wird der betroffene Teil der Speiseröhre chirurgisch entfernt. Damit die Patienten anschließend möglichst normal schlucken können, wird aus einem Teil des Magens ein Schlauch geformt, um die Speiseröhre zu ersetzen. Ist dies nicht möglich, z.B. nach einer vorangegangenen Magenoperation, können wir auch Teile des Dickdarms verwenden. Falls der Tumor bereits Fernmetastasen in der Lunge, der Leber oder den Knochen gebildet hat oder in umliegende Körperstrukturen eingewachsen ist, würde eine Operation die Prognose in der Regel leider nicht verbessern. In diesen Fällen müssen wir uns auf eine Linderung der Beschwerden beschränken, indem wir z.B. mit Hilfe der Radio- oder Chemotherapie die Größe des Tumors verringern.“
Wie belastend ist eine chirurgische Entfernung eines Speiseröhrentumors?
Prof. Knoefel: „Wenn der Allgemeinzustand des Patienten eine Operation erlaubt, wird sie meistens auch gut überstanden. Wir versuchen so viel wie möglich schonend minimal-invasiv zu operieren. Voraussetzung ist allerdings, dass der Tumor an Stellen liegt, die laparoskopisch und thorakoskopisch gut erreichbar sind. Das wichtigste ist, den Tumor komplett zu entfernen. Ausgerichtet an diesem Anspruch sollte dann entschieden werden, ob offen oder minimal-invasiv operiert wird. Innerhalb der ersten vier Tage nach dem Eingriff können die Patienten bereits Suppen, Joghurt oder auch ein Stück Brot essen. Bis sie ohne künstliche Ernährung auskommen, dauert es in der Regel ein bis zwei Wochen. Bis die Patienten wieder so fit und leistungsfähig sind, wie vor ihrer Erkrankung, kann aber bis zu einem Jahr dauern. Nach etwa drei Monaten ist der Tiefpunkt überschritten und die meisten haben dann bereits 50 bis 70 Prozent ihrer ursprünglichen Leistungsfähigkeit wieder erlangt. Nach 9-12 Monaten sollte dann eine vollständige Wiederherstellung ihres ehemaligen Fitnesslevels erreicht sein.“
Gibt es Ausschlusskriterien für eine Operation?
Prof. Knoefel: „Wir unterscheiden zwischen onkologischen und patientenbezogenen Ausschlusskriterien. Wenn der Tumor bereits so groß ist, dass er in die Luftröhre, die Aorta, das Herz oder die Wirbelsäule eingewachsen ist oder sich mehrere Metastasen in der Lunge, der Leber oder den Knochen gebildet haben, birgt eine Operation ein zu großes onkologisches Risiko, d.h. die Operation verhindert nicht ein genauso schnelles Fortschreiten der Erkrankung. In diesem Fall würden wir uns auf eine kombinierte Strahlen- und Chemotherapie beschränken. Das gleiche gilt, falls der Patient durch langjähriges Rauchen zu starke Einschränkungen der Herz-Lungen-Funktion aufweist oder unter einer alkoholbedingten Leberzirrhose leidet. Auch wenn der Eingriff unter guten Voraussetzungen meist gut überstanden wird, handelt es sich dennoch um eine große, belastende Operation, deren Nutzen und Risiken sorgsam abgewogen werden müssen.“
Wie sind die Heilungs- bzw. Überlebenschancen?
Prof. Knoefel: „Sie sind natürlich umso besser, je früher der Speiseröhrenkrebs entdeckt wird. Sofern es gelingt, den Tumor und eventuell befallene Lymphknoten komplett zu entfernen, erzielen wir sehr gute Langzeitüberlebensraten. Leider behandeln wir viele Patienten, deren Ösophaguskarzinom erst spät diagnostiziert wurde. Bei diesen Patienten beträgt die Überlebensrate nach 5 Jahren gerade mal 30 Prozent. In realen Zahlen bedeutet das: Bei 7000 – 8000 diagnostizierten Fällen von Speiseröhrenkrebs pro Jahr versterben gleichzeitig 4000 bis 5000 Patienten an Speiseröhrenkrebs.“
Wie können Sie helfen, falls keine Operation mehr möglich ist?
Prof. Knoefel: „Das Wichtigste für die Patienten ist, dass sie zu einer normalen Nahrungsaufnahme fähig sind. Darauf sind im Rahmen der Palliativpflege alle unsere Bemühungen ausgerichtet. Wir können z.B. mit Hilfe einer Strahlentherapie erreichen, dass der Tumor kleiner wird und weniger Schluckbeschwerden verursacht. Oder wir können die Speiseröhre mit Hilfe eines eingesetzten Tubus oder Stents offen und durchlässig für Nahrung halten. All diese Maßnahmen leisten einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität der betroffenen Patienten.“
Gibt es neue Studien oder Entwicklungen, die eine Diagnose und Therapie des Speiseröhrenkrebses in Zukunft verbessern könnten?
Prof. Knoefel: „In Japan gibt es aktuell interessante Studien, die nachweisen könnten, dass in einigen Fällen auch eine nachgeschaltete Chemo- und Radiotherapie weitere Verbesserungen ermöglicht. Allgemein sind Radio- und Chemotherapien heutzutage sehr viel verträglicher als noch vor fünf Jahren. Spannend ist auch die Möglichkeit einer Kombination mit zielgerichteten Antikörpertherapien. Diese sind sehr effektiv und gleichzeitig gut verträglich und weniger toxisch. Es gibt auch Studien, die sich mit der Verbesserung der chirurgischen Entfernung beschäftigen. Hier sind wir aber bereits in der glücklichen Lage, dank radikaler Tumorentfernung, minimal-invasiver Techniken und durch eine verbesserte Patientenversorgung vor, während und nach einer Operation, gute Ergebnisse zu erzielen.“
Podcast Neuroendokrine Tumore
Fachbeiträge zum Thema Viszeralchirurgie
Adipositas / Übergewicht: Dr. Plamen Staikov
Abnehmen ist kein Kurzstreckenlauf, so der Adipositas-Spezialist vom Krankenhaus Sachsenhausen: Bei Übergewicht Hilfe aufsuchen, je früher, desto…
Wenn Übergewicht krank macht
Adipositas (Fettleibigkeit) führt häufig zu schwerwiegenden Erkrankungen. In vielen Fällen hilft am Ende nur eine Operation.
Wenn plötzlich der linke Unterbauch schmerzt
Bei vielen älteren Menschen ab 70 Jahren bilden sich Darmdivertikel, Ausstülpungen der Darmschleimhaut. Falls sie sich entzünden, können heftige…
Adipositas früher operieren
Bei krankhaftem Übergewicht sollte eine Operation die letzte Maßnahme zur Gewichtsreduzierung sein. Zu lange zögern sollten Betroffene allerdings auch…
Bauchspeicheldrüsen-Tumor: Prof. Tobias Keck
Pankreas: Zyste, Tumor oder Neoplasie – Auch die Gutartigen, Seltenen können heikel sein! Da es keine Vorsorgeuntersuchungen gibt, ist das Auffinden…
Leber-Chirurgie: Prof. Tobias Keck
Leber-Erkrankungen können schnell gefährlich werden. Gleichzeitig ist die Leber aber das einzige Organ, das sein Gewebe neu bilden kann und damit neu…
Neue Hoffnung bei Leberkrebs
Das relativ junge „In-situ Split“-Verfahren der Leber ermöglicht das Erhalten der Leberfunktion nach der Entfernung von Metastasen oder Tumoren.
Komplexe Eingriffe bei Lebertumoren
Bei Tumoren oder Metastasen in der Leber ist eine Operation in der Regel die einzige Methode, die eine Heilung erwirken kann. Alternativ können…
Ursachen behandeln, nicht nur Symptome
Bei der Behandlung des metabolischen Syndroms steht der Abbau von Übergewicht an erster Stelle.
Speiseröhren-Krebs: Univ.-Prof. Wolfram T. Knoefel
Sodbrennen und Schluckbeschwerden sind Vorboten des Ösophaguskarzinoms: Früh entdeckt gut zu behandeln, aber Krebszellen können streuen und neue…
Das Besondere an zertifizierten Darmkrebs-Zentren
Darmkrebs ist die zweithäufigste Krebserkrankung bei Frauen und Männern, und damit dieses häufige Gesundheitsproblem bestmöglich behandelt werden…
Prof. Tobias Keck: Vorteile der Robotischen Viszeralchirurgie
Prof. Tobias Keck illustriert die Vorteile der Robotischen Viszeralchirurgie und veranschaulicht moderne Eingriffe an der Bauchspeicheldrüse, Leber…
Erfolgreicher Einsatz des DaVinci-Operationsroboters
Das roboterassistierte Verfahren bei Pankreaskarzinomen ermöglicht Patienten eine schonende Operation mit kleinen Schnitten, eine schnellere Genesung…
Das Chamäleon unter den Darmerkrankungen
Divertikel, Ausstülpungen des Darms, entwickeln viele Menschen im Laufe ihres Lebens.
Narbenbrüche rasch operieren
Der Narbenbruch gilt als häufigste Langzeitkomplikation nach einer Bauchoperation. Betroffen sind zwischen 10 und 20 Prozent der Patienten.
Abnehmen / Magenverkleinerung: Prof. Frank Wenger
Bei Adipositas endlich Fett verlieren und neues Gewicht langfristig halten! Der Chefarzt am Hohenloher Krankenhaus in Öhringen hilft Betroffenen mit…
Gute Heilungschancen bei Schilddrüsenkrebs
Jedes Jahr erkranken rund 6000 Männer und Frauen an Schilddrüsenkrebs. Die Zahl hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren nahezu verdoppelt.
Speiseröhrenkrebs DaVinci-OP: Prof. Alexis Ulrich
Robotische Ösophaguschirurgie: „Betroffene, die mit dem Roboter operiert werden, sind im Schnitt 7 bis 10 Tage früher zuhause als die offen…
Speiseröhrenkrebs: Prof. Daniel Vallböhmer
Die Therapiemöglichkeiten und Aussichten haben sich beim Ösophaguskarzinom deutlich verbessert. Speiseröhrenkarzinome lassen sich heutzutage mit dem…
Die Operation ist nur ein Baustein der Gewichtsabnahme
Die Enttäuschung ist groß, wenn das Übergewicht nach einer Adipositas-Operation nicht so sehr schrumpft, wie erhofft.
Operation statt Insulin-Spritze
Bei Diabetes ist bisher die medikamentöse Therapie Standard. In den letzten Jahren wurde festgestellt, dass nach Adipositas-Operationen neben dem…
Ist Bauchspeicheldrüsenkrebs heilbar?
Die Diagnose „Bauchspeicheldrüsenkrebs“ wird oft gleichgesetzt mit einem Todesurteil. Dabei kann in vielen Fällen durch eine Operation die…
Neuroendokrine Tumore – Prof. Wolfram Knoefel
Neuroendokrine Tumore können in verschiedenen Organen des Körpers auftreten. Sie bestehen aus Hormon bildenden Zellen und können eine Vielzahl von…
Enddarmkrebs fast immer operabel
Dank schonender, moderner Operationsverfahren kann in den meisten Fällen nicht nur der Darmtumor entfernt werden, sondern auch die Blasenfunktion,…
Todesurteil Bauchspeicheldrüsenkrebs?
Die Heilungschancen des Pankreaskarzinoms hängen stark davon ab, wie frühzeitig der Tumor erkannt wird.
DaVinci-OP bei Darmkrebs oder Hernien
Bauch- und Darmoperationen waren vor noch nicht zu langer Zeit mit langen Bauchschnitten verbunden. Heutzutage werden viele Eingriffe…
Bauchspeicheldrüsenkrebs: Prof. Tobias Keck
Es ist sowohl kompliziert, Bauchspeicheldrüsenkrebs rechtzeitig zu entdecken, als auch wegen seiner Komplexität schwer zu operieren, so Prof. Tobias…