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Die hohe Kunst der Neurochirurgie

Hirntumore

Bei der chirurgischen Entfernung von Hirntumoren ist höchste Präzision gefordert, um Defekte der gesunden Bereiche und der Körperfunktionen zu vermeiden, erklärt Prof. Dr. med. Ralf A. Kockro, Spezialist für Neurochirurgie an der Klinik Hirslanden in Zürich.

Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO

 

Wovon ist es abhängig, ob ein Hirntumor operiert wird oder nicht?

Prof. Dr. med. Ralf A. Kockro operiert

Prof. Kockro: „Ein Hirntumor wird zum einen dann operiert, wenn er Symptome verursacht und die CT- oder die MRI-Bildgebung (Computertomographie oder Magnetresonanztomographie) dafürsprechen. Zum anderen gibt es viele Tumore im Gehirn, die zufällig entdeckt werden. Solange sie asymptomatisch sind und auch eine erweiterte Bildgebung sie als gutartig einstuft, werden diese Tumore beobachtet und regelmäßig kontrolliert. Erst wenn sie sich verändern und durch ihr Wachstum anderes Gewebe verdrängen oder infiltrieren, wird eine Operation in Erwägung gezogen. Anders sieht es aus, wenn bei Patienten ein Hirntumor diagnostiziert wird, nachdem bereits Symptome wie Lähmungen, Sprach- oder Sehstörungen bzw. epileptische Anfälle aufgetreten sind. In diesen Fällen wird in der Regel eine Operation angestrebt. Grundsätzlich ist es eine interdisziplinäre Entscheidung in einem Tumorboard. Hier bewerten Ärzte der verschiedenen Fachrichtungen die Befunde jedes einzelnen Patienten, um am Ende die bestmögliche Therapie zu empfehlen.“

Wie wird die Operation vorbereitet?

Prof. Kockro: „Um den Tumor bestmöglich darzustellen und zu verstehen, erfolgt für die OP-Planung eine detaillierte 3D- oder 4D-MRI-Bildgebung und gelegentlich eine Angiographie. Es können somit neben dem Tumor auch funktionelle Zentren und Faserbahnen, welche die Bewegungen und die Sprache steuern, erfasst und in Relation zum Tumor dargestellt werden. Für eine präzise Operation ist diese Information sehr wichtig. Wenn Tumore nicht klar abgegrenzt sind und dazu neigen, Nachbargewebe zu infiltrieren, ist eine metabolische Bildgebung (PET, Positronen-Emissions-Tomographie) hilfreich. Durch die Gabe von radioaktiven Aminosäuren werden besonders aktive Bereiche im Tumor markiert und in der Bildgebung sichtbar. Falls zur Schonung sensibler Gehirnbereiche nicht der gesamte Tumor entfernt werden kann, können so auf jeden Fall die besonders aktiven Bereiche reseziert werden. Zusätzlich wird auch der allgemeine medizinische Status des Patienten genau untersucht. Wichtige Faktoren sind z.B. die Blutgerinnung oder verschiedene Medikamente, die möglicherweise vor eine Operation umgestellt werden müssen.“

Wann werden Hirntumore im Wachzustand operiert?

Brain Suite Klinik Hirslanden in Zürich

Prof. Kockro: „Die im Vorfeld erstellte funktionelle MRI-Bildgebung zeigt uns die Lage des Tumors sowie zu schonende Gehirnzentren, ähnlich einer Roadmap in einem Navigationssystem – aber in 3D. Je nach Lage und Art des Tumors entscheidet sich dann, ob eine Operation im Wachzustand sinnvoll ist. Die hohe Kunst der Neurochirurgie besteht nicht nur in der Entfernung des eigentlichen Tumors, sondern vor allem in der Grenzzonenchirurgie. Dies ist die Übergangszone zwischen Tumor und gesundem Gewebe, die häufig Zellen beider Bereiche enthält. Hier ist höchste Präzision gefragt. Bei Tumoroperationen außerhalb des Gehirns würde man wenn möglich immer versuchen, auch umliegendes, gesundes Gewebe zur Sicherheit zu entfernen, falls sich dort verstreute Tumorzellen befinden. Im Gehirn gibt es aber hochsensible Funktionszonen, oft in direkter Nachbarschaft zum Tumor. Dazu gehören das Sprach-, Seh- und Hörzentrum. In diesen ‚eloquenten‘ Zonen zählt der Erhalt jedes Kubikmillimeters noch funktionierenden Gewebes – aber gleichzeitig muss aus dieser Übergangszone möglichst viel Tumorgewebe entfernt werden. Um mögliche Störungen umgehend zu bemerken, ist bei Operationen in diesen Gehirnzonen eine Wach-Operation sinnvoll.“

Wie schonen Sie wichtige Hirnareale?

Prof. Kockro: „Die eben erwähnte Wachoperation ist eine Überwachungsmethode bei Operationen in den eloquenten Zonen des Gehirns. Während der Zugang erfolgt, schläft der Patient in einer normalen Kurznarkose. Da das Gehirn selbst vollkommen gefühllos und schmerzunempfindlich ist, wecken wir die Patienten auf, sobald der Zugang erfolgt ist. Ein Neuropsychologe führt dann Sprach-, Seh- oder Hörtests durch, während der Chirurg im sensiblen Bereich operiert. So bekommen wir sofort eine Rückmeldung, falls durch die Operation wichtige Funktionen gestört werden. Eine andere Überwachungsmethode ist die sogenannte elektrische ‚Volumenstimulierung‘: Über dem zu operierenden Hirnbereich wird ein elektrisches Feld in der Größe von einigen Kubik-Millimetern gelegt. Dadurch kann überprüft werden, ob trotz dieser Störung Bewegungen etc. möglich sind. Falls die Volumenstimulisierung unauffällig bleibt, kann an dieser Stelle gefahrlos operiert werden. Dies erfordert großes Fingerspitzengefühl und das sorgfältige Abwägen zwischen Radikalität der Resektion und dem Risiko eines funktionellen Defizits.“

Schränken minimal-invasive oder mikrochirurgische Verfahren die Möglichkeit ein, das gesamte Tumorgewebe zu entfernen?

Prof. Kockro: „Nein. Die Größe des gewählten Zugangs ist abhängig von der Art, der Lage und der Infiltration des jeweiligen Tumors. Viele Operationsgebiete lassen sich problemlos mit einem Schlüsselloch-Zugang erreichen. Andere Tumoren müssen von verschiedenen Seiten betrachtet werden, während man entfernt. Dazu ist dann ein etwas größerer Hautschnitt erforderlich. Prinzipiell gilt: so klein wie möglich, so groß wie nötig. Auf Kosten der Patientensicherheit darf ein Schlüsselloch-Verfahren nicht gewählt werden. Wir wählen die Methode, die das beste Ergebnis verspricht.“

Wie belastend ist die Entfernung eines Hirntumors für die Patienten?

Neurochirurgie-OP HirslandenProf. Kockro: „Unsere Patienten sind in der Regel schnell wieder auf den Beinen. Wobei dies individuell verschieden ist und auch abhängig von der Lage des entfernten Tumors. Wenn alles nach Plan läuft, verbringen frischoperierte Patienten eine Nacht zur Beobachtung auf der Intensivstation. Anschließend bleiben sie noch 3 bis 4 Tage in der Klinik. Falls überhaupt Wundschmerzen auftreten, lassen sich diese gut mit Schmerzmitteln behandeln. Wenn die Patienten bereits vor der OP unter neurologischen Ausfällen gelitten haben oder diese vorübergehend nach der Operation auftreten, können auch längere Klinikaufenthalte und anschließende Reha-Maßnahmen erforderlich sein.“

Wie sind die Heilungschancen nach einer Hirntumor-OP?

Prof. Kockro: „Bei vielen gutartigen Tumoren, die komplett entfernt werden konnten, ist eine vollständige Heilung möglich. Bei bösartigen Tumoren gilt die Faustregel: Je mehr Tumorgewebe entfernt wurde, desto besser sind die Überlebenschancen. Dies ist von Fall zu Fall unterschiedlich.“

Bleiben nach der Entfernung eines Hirntumors sichtbare Narben?

Prof. Kockro: „Es gelingt uns fast immer, die notwendigen Schnitte im Bereich des Kopfhaares oder der Augenbrauen zu setzen. Die Narben sind später – wenn überhaupt – nur als feine Linien erkennbar.“

Erwarten Sie in der nahen Zukunft weitere Fortschritte im Bereich der Hirntumor-Chirurgie?

Prof. Dr. med. Ralf A. Kockro, Spezialist für Neurochirurgie

Prof. Kockro: „Wir können davon ausgehen, dass die bereits angewandten, mikrochirurgischen und endoskopischen Verfahren noch weiter verfeinert werden und eine noch höhere Präzision – bis hinein in den Nanobereich – erlauben. Fortschritte wird es auch in der Visualisierung und Detektierung des Tumors und der Funktionszentren des Gehirns geben. Ich verwende bereits routinemäßig ein Monitoring-System, das mit Hilfe elektrischer Impulse den Verlauf wichtiger Bahnen im Gehirn anzeigt und es wird möglich sein, die Differenzierung zwischen Impuls-leitenden Nervenfasern und Tumorgewebe weiter zu verbessern. Auch die bereits bestehende Möglichkeit, Tumorgewebe einzufärben und so von gesundem Gewebe abzugrenzen, wird sicher noch präzisiert werden. Darüber läuft die Forschung - in einem Projekt bin ich direkt involviert - die Tumorfarbstoffe direkt bei der Operation durch Licht zu aktivieren und somit verbleibende Tumorzellen in der Resektionsrandzone zu eliminieren. Eine große Bedeutung kommt auch dem verbesserten und noch hochauflösenderem intraoperativen MRI zu: Eine Online-Bildgebung, die dem Chirurgen das chirurgische Zielgebiet exakt dreidimensional anzeigt und sozusagen den „Röntgenblick“ in die Region jenseits der aktuellen Resektionsgrenze erlaubt. Es ist also vieles auf dem Weg, das die Neurochirurgie in Zukunft noch sicherer und präziser werden lässt.“

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