Neunzig Prozent der Hirntumore sind operabel
Hirntumore
Dank moderner Bildgebungsverfahren, computergestützter Navigation und Neuromapping ist die Entfernung von Hirntumoren deutlich schonender und präziser geworden.
Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Mit Beginn der zweiten Lebenshälfte, ab dem 50. Lebensjahr, steigt das Risiko, einen Hirntumor zu entwickeln. Dabei kann es sich sowohl um Primärtumore handeln, die direkt im Gehirn entstehen, als auch um Metastasen anderer Krebserkrankungen, z.B. bei Lungen- oder Brustkrebs. Bösartige Hirntumore kommen häufiger vor als gutartige. Bei 90 Prozent aller Hirntumore ist eine Operation möglich, die bei bestimmten Tumoren eine Heilung ermöglicht und bei anderen zumindest eine Verlängerung der Überlebenszeit sichert, erklärt Prof. Dr. med. Andreas Raabe, Spezialist für Neurochirurgie sowie Direktor und Chefarzt der Universitätsklinik für Neurochirurgie in Bern/Schweiz. „Es gibt nur wenige Tumore, die nur bestrahlt und nicht operiert werden können. Nur wenn sie sich ganz tief z.B. im Hirnstamm oder den Zwischenhirnzentren befinden, schneiden wir ungern. Ansonsten versuchen wir, alle Hirntumore chirurgisch zu entfernen, um für unsere Patienten das bestmögliche Ergebnis zu erreichen.“ Dabei gehen Prof. Raabe und sein Team nach dem „maximum safe resection“-Verfahren vor, d.h. sie entfernen soviel Tumormasse und Umgebungsgewebe wie möglich, ohne angrenzende Hirnstrukturen zu verletzten. „Aber selbst wenn wir nicht alle Zellen entfernen können, wenn der sichtbare Tumor entfernt ist, dann ist das ein wichtiger Schritt der Therapie“, erklärt der Neurochirurg.
Diagnose von Hirntumoren
Da das Gehirn selbst keine Schmerzen empfinden kann, werden Hirntumore oft als Neben- oder Zufallsbefund entdeckt, z.B. bei einer Magnetresonanztomographie (MRT) nach einem Unfall. Ansonsten ergibt sich erst ein Verdacht, wenn der Tumor oder die Metastase durch ihre Raumforderungen andere Strukturen einengen. „Mögliche Symptome sind dann epileptische Anfälle bei Erwachsenen, Seh-, Sprach- oder Bewegungsstörungen oder aber anhaltende Kopfschmerzen. In allen Fällen würde eine MRT-Bildgebung angeordnet, die dann auch einen möglichen Tumor zeigt“, so Prof. Raabe. Aufgrund der erstellten Lagebilder kann der Neurochirurg anschließend entscheiden, ob der Tumor operabel ist und welches Verfahren im Einzelfall ausgewählt wird. „Bei Tumoren der Hypophyse oder an der Schädelbasis ist es z.T. möglich, einen Zugang durch die Nase zu wählen. Ansonsten erfolgt der meist weniger als 6 Zentimeter lange Schnitt im behaarten Bereich, so dass die Narbe später ebenfalls unsichtbar ist.“
Wach-OP oder Vollnarkose bei der Entfernung von Hirntumoren
Damit im sensiblen und räumlich begrenzten Hirnraum bei einem chirurgischen Eingriff keine neuen Verletzungen entstehen, werden die Hirnfunktionen und Bewegungsbahnen der Patienten während der OP genauestens überwacht. „Der Tumor selbst kann mit Fluoreszenzfarbstoffen markiert werden und eine Navigationssoftware macht es möglich, auf dem Bildschirm ganz genau zu erkennen, wo sich die Instrumente gerade befinden, wo noch Tumorgewebe liegt und wo das angrenzende, gesunde Gewebe beginnt. Mit Hilfe von Magnetstrom und feinen Elektroimpulsen können wir die verschiedenen Funktionszentren des Gehirns stimulieren und dadurch überprüfen, ob die Reaktionen normal ausfallen“, erklärt Neurochirurg Raabe. Bei einigen Operationen ist es sinnvoll, den Eingriff nur mit lokaler Betäubung auszuführen: Wenn der Tumor beispielsweise nahe des Sprachzentrums liegt, muss der Patient während der OP verschiedene Fragen beantworten. Sobald er Fehler macht, weiß der Chirurg, dass hier eine sensible Grenze erreicht ist. Weitere Sicherheit bieten MRT-Aufnahmen, die direkt im OP angefertigt werden, um den Fortschritt und Erfolg des Eingriffs umgehend überprüfen zu können.
Erfolge der modernen Hirnchirurgie
Dank der präzisen Überwachungsmethoden während der Tumorentfernung seien anschließende Funktionsausfälle des Gehirns deutlich seltener geworden, betont Prof. Raabe. In Einzelfällen können Hirntumore sogar ambulant entfernt werden. Um die Gefahr von Nachblutungen oder epileptischen Anfällen auszuschließen, bleiben die Patienten in der Regel zwischen zwei und fünf Tagen in der Klinik. „Eine Reha ist nur notwendig, wenn sich nach der Operation Ausfallerscheinungen bemerkbar machen. Ansonsten sitzen viele meiner Patienten bereits am nächsten Tag wieder am Laptop und arbeiten“, so der Hirnspezialist. „Sie werden sofort mobilisiert und bei einem komplikationsfreien Verlauf fühlen sie sich höchstens die ersten ein bis zwei Wochen etwas müde oder müssen die psychologische Belastung verarbeiten.“ Der Erfolg der Operation ist stark abhängig vom jeweiligen Tumortyp. „Bei bösartigen Glioblastomen liegt die mittlere Überlebenszeit leider noch bei 16 bis 18 Monaten, etwa 10 Prozent der Betroffenen überleben aber deutlich länger. Wenn wir nicht das gesamte Tumorgewebe entfernen konnten, besteht die Gefahr, dass der Tumor sich erneut ausbreitet. Das gleiche gilt für Metastasen.“ Wer aber einen gutartigen oder einen bestimmten Typus eines bösartigen Hirntumors aufweist, hat dank der jüngsten Fortschritte in der Hirnchirurgie gute Chancen auf eine vollständige Heilung. Neurochirurg Raabe setzt große Hoffnungen auf aktuelle Entwicklungen, wie z.B. die Weiterentwicklung mikroskopischer optischer Verfahren, mit denen die Funktionsbahnen des Gehirns noch besser sichtbar gemacht werden können. Auch neue Methoden zur Messung der Gewebeeigenschaften können den Chirurgen in Zukunft helfen, noch feiner zwischen Tumor- und gesundem Gewebe zu unterscheiden.
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