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Operationen schenken Lebenszeit

Gliome

Hirneigene Tumore sind zu neunzig Prozent operabel, erklärt Prof. Dr. med. Andreas Raabe, Spezialist für Neurochirurgie, Chefarzt und Direktor der Universitätsklinik für Neurochirurgie am Inselspital – Universitätsspital Bern.

Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO

Warum ist eine Operation bei Hirntumoren die erste Wahl?

Operation Prof. Raabe im Inselspital Bern

Prof. Raabe: „Bei hirneigenen Tumoren, z.B. Gliomen, ist nachgewiesen, dass je mehr Tumorgewebe entfernt werden kann, desto mehr verlängert sich die Überlebenszeit. Gliome neigen leider dazu, sich sehr schnell in benachbarte Hirnareale auszuweiten. D.h. trotz der Entfernung eines Tumors befinden sich noch Tumorzellen an anderen Stellen im Gehirn. Aber selbst wenn nicht alle Zellen entfernt werden können, ist durch eine Operation viel gewonnen, weil je nach Tumor Monate bis viele Jahre Lebenszeit gewonnen werden.“

Wovon ist es abhängig, ob ein Hirntumor operiert werden kann oder nicht?

Prof. Raabe: „Etwa neunzig Prozent aller hirneigenen Tumoren sind operabel. Ausnahmen wären diffuse Tumoren auf mehreren Hirnlappen, die wenig abgegrenzt sind. Aber selbst wenn sensible Gebiete im Gehirn infiltriert sind, können wir häufig noch operieren und dabei so viel Tumormasse wie möglich entfernen.“

Wie groß ist das Risiko, dass bei der Operation gesunde Hirnstrukturen verletzt werden?

Prof. Raabe: „Es gibt kein pauschales Risiko bei diesen Eingriffen, aber es ist bei Anwendung moderner Funktionsüberwachung niedrig. Im Vordergrund steht immer der Funktionserhalt. Falls der Tumor z.B. im Sprach- oder Bewegungszentrum angesiedelt ist, können wir das Risiko unerwünschter Komplikationen dank moderner Techniken auf etwa fünf Prozent minimieren.“

Was macht die Operation von Gliomen so schwierig?

Inselspital Bern Hirnturmor-OP

Prof. Raabe: „Gliome neigen leider dazu, andere Hirnzellen zu verdrängen und benachbarte Gehirnbereiche zu infiltrieren. Wir müssen also auf der einen Seite sicherstellen, dass wir die maximale Tumormasse entfernen. Auf der anderen Seite müssen wir die Hirnfunktionen überwachen, um eine Warnung zu erhalten, bevor durch die Operation wichtige Hirnareale verletzt werden und eine Funktionsstörung eintritt. Dabei hilft uns das sogenannte ‚Neuromapping’, das man als Landkarten der verschiedenen Funktionsgebiete im Gehirn beschreiben kann. Mit Hilfe elektrischer Messgeräte erfolgt eine Warnung, sobald wir uns während der Operation einer kritischen Grenze nähern. In bestimmten Fällen, in denen wir z.B. den Erhalt der Sprache und des Sehens sichern müssen, erlaubt eine Wachoperation eine kontinuierliche Überprüfung. Dies ist möglich, weil das Gehirn selbst über keine Sinneszellen zur Schmerzempfindung verfügt. Patienten spüren die Operation im Gehirn nicht, obwohl sie wach sind.“

Wie groß sind die Heilungs- bzw. Erfolgsaussichten?

Prof. Raabe: „Heilung ist ein schwieriges Wort, weil eben auch mit der modernen Operation, Bestrahlung und Chemotherapie nicht die letzte Zelle des Tumors zerstört werden kann. Es gibt aber niedrig-gradige Tumore, die nach einer Operation und ggf. Zusatzbehandlung für 15-20 Jahre keine Symptome hervorrufen. Eine Studie hat nachgewiesen, dass auch bei den sehr bösartigen Glioblastomen bei bestimmten Formen eine Remission für mehrere Jahre erreicht werden kann, und zwar mit guter Lebensqualität.“

Wie lange dauert die Erholungsphase nach einer Tumoroperation im Gehirn?

Prof. Raabe: „In den allermeisten Fällen erholen sich unsere Patienten sehr rasch. Sie können nach wenigen Tagen das Spital verlassen und viele nehmen nach drei bis vier Wochen ihre Arbeitstätigkeit wieder auf. Bei ausgedehnten Tumoren oder Tumoren in schwieriger Lage können nach der Operation vorübergehende Funktionsbeeinträchtigungen auftreten. Gerade bei niedrig-gradigen Gliomen versuchen wir das Tumorgewebe sehr großzügig wegzuschneiden, aber immer unter der Priorität, dass keine bleibenden Funktionsstörungen auftreten sollen. In solchen Fällen kann man aber vorübergehende Störungen in Kauf nehmen, um mehr Tumor zu entfernen. Es kann dann notwendig sein, nach der Operation zwei bis drei Monate eine Reha in Anspruch zu nehmen, um z.B. seine Kraft oder das Sprachvermögen zu trainieren.“

Welche neuen Erkenntnisse gibt es in Bezug auf Hirntumore?

OP-Hybrid Inselspital Bern

Prof. Raabe: „Im Rahmen der Tumorchirurgie wurden und werden die Überwachungsmethoden während der Operation verbessert. Auch bei der Chemo- und Radiotherapie hat es bereits große Fortschritte gegeben. Beide Verfahren können DNA-Schäden im Tumor herbeiführen, und so die Krebszellen absterben lassen bzw. sie am  Weiterwachsen hindern. Gute Chancen, in Zukunft die Überlebenszeiten zu verbessern, bietet die Immuntherapie. In Bezug auf die Behandlung von Glioblastomen erwarten wir die Ergebnisse für die Überlebenszeit in einer Studie zu CheckMate – 548, einem Antikörper, der in Kombination mit der Standardtherapie eingesetzt wird. Extrem wichtig ist zudem die genetische Analyse in der Diagnostik. Je besser wir den spezifischen ‚Fingerabdruck’ eines Tumors erkennen können, desto zielgerichteter kann die Therapie erfolgen. Hier sind Forschung und Entwicklung auf einem guten Weg.“


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