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Ein Tabu, das keines sein sollte

PD Dr. med. Noé - Portrait

Prof. Dr. med. Noé

Chefarzt

Frauenheilkunde und Geburtshilfe

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Harninkontinenz- ein Tabu, das keines sein sollte

Eine Schwäche oder Senkung des Beckenbodens löst häufig eine Harninkontinenz aus – ein Zustand, mit dem sich immer weniger Frauen abfinden wollen.

Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO

Wenn beim Aufstehen aus dem Sitzen, beim Niesen, Husten oder Hochnehmen der Einkaufstaschen plötzlich unkontrolliert etwas Urin abgeht, ist das den Betroffenen meist entsetzlich peinlich. In den vergangenen Jahrzehnten wussten sich viele Frauen nur mit heimlich gekauften Inkontinenz-Einlagen zu helfen. Das hat sich zum Glück geändert, weiß PD Dr. med Karl-Günther Noé, Spezialist für Urogynäkologie und Chefarzt am Kreiskrankenhaus Dormagen:

„Die Frauen gehen heutzutage viel aktiver gegen eine Beckenbodenschwäche oder ihre Inkontinenz vor. Der Wunsch nach Unversehrtheit ist sehr viel größer als noch vor zwanzig Jahren.“ Typische Symptome einer Beckenbodenschwäche sind ein Druckgefühl im Bauch, z.T. auch Schmerzen. „Als ob etwas nach unten herausfallen würde“, beschreiben Patientinnen von Dr. Noé ihre Beschwerden. Viele klagen zudem über Probleme beim Geschlechtsverkehr, häufige Harnwegsinfekte, einen ständigen Harndrang oder andere Inkontinenzprobleme.

Erster Schritt: Inkontinenztagebuch

Wenn Patientinnen mit diesen typischen Beschwerden zu ihm kommen, rät Dr. Noé ihnen in der Regel, eine Woche lang zu notieren, wie häufig und wann sie zur Toilette gehen. „Bei Inkontinenz unterscheiden wir zwischen zwei Formen: Urinverlust bei körperlicher Belastung, wie z.B. Husten, Niesen, Tragen, Springen oder in schwereren Fällen sogar beim schnellen Aufstehen. Bei einer Dranginkontinenz gehen die Frauen am Tag und auch in der Nacht sehr häufig zur Toilette, obwohl sie jedes Mal nur eine geringe Menge Urin ausscheiden können.“ Neben einer Ultraschalluntersuchung wird bei Drangpatientinnen eine sogenannte „Blasendruckmessung“ (Urodynamik) durchgeführt, bei der geprüft wird, ob die Funktionen der Harnblasenmuskeln und der Harnröhre eingeschränkt sind.

Medikamente bei Beckenbodenschwäche und Harninkontinenz

Bei einer leichten Inkontinenz kann bereits eine medikamentöse Behandlung Abhilfe schaffen. Immerhin mehr als die Hälfte aller Frauen mit Dranginkontinenz sprechen positiv auf verschiedene Medikamente an. Auch ein gezieltes Beckenbodentraining kann dazu beitragen, die Blasenfunktion zu normalisieren. Tritt die Inkontinenz gezielt z.B. beim Sport auf, kann das Tragen von Schaumstoff- oder Kunststoffpessaren in der Scheide die Auswirkungen begrenzen, erklärt Urogynäkologe Noé:

„Bei Inkontinenzen höheren Grades können auch Ringpessare verwendet werden. Diese können allerdings unangenehme Druckstellen verursachen. Auch die Beckenbodensenkung kann im frühen Stadium z.B. durch Würfelpessare in der Scheide ausgeglichen werden. Vor allem bei älteren Damen mit starker Einschränkung und geringer Aktivität kann eine Pessarbehandlung erfolgreich sein. Allerdings müssen die Trägerinnen in der Lage sein, die Pessare selbständig einzusetzen und zu reinigen.“

Bei einer Dranginkontinenz kann auch eine Elektrostimulation mittels Vaginalsonde helfen, den Drang zu reduzieren und als sogenanntes „Bio-Feedback“ das Muskeltraining zu unterstützen.  Eine Elektrostimulation wird häufig für eine Dauer von drei Monaten verschrieben und die Patientinnen können die Behandlung eigenständig zuhause durchführen. 

Wann ist eine Operation notwendig?

Kann die Inkontinenz weder durch eine medikamentöse Therapie noch mittels Beckenbodentraining behoben werden, kann sie operativ behandelt werden. Bei einer Belastungsinkontinenz ist stellt dies eine sichere Methode dar, um die Beschwerden langfristig zu beseitigen, so Dr. Noé: „Drangpatientinnen werden dagegen selten operiert. Nur wenn der klinische Eindruck entsteht, dass eine Senkung Ursache des Drangs ist.“

Bei der kleinstmöglichen Inkontinenz-OP wird ein spezielles Gel in die Harnröhre gespritzt, das diese für einen Zeitraum von drei bis sechs Jahren verengt und so einen plötzlichen Urinabgang verhindert. Alternativ ist es möglich, das geschwächte Gewebe, das eine Senkung verursacht bzw. die Verschlussfähigkeit der Blase beeinträchtigt, durch Nähte zu straffen oder mit einem Kunststoffband zu unterlegen. Dies ist zur Zeit die am durchgeführte Operation.

Grundsätzlich beherrschen Dr. Noé und sein Team sämtliche Verfahren, legen aber Wert darauf, diese individuell auf den Patienten abzustimmen. „Wir sind bekannt für unser laparoskopisches Konzept mit dem Fokus, so viel Eigengewebe wie möglich zu verwenden und in der Scheide möglichst narbenfrei zu operieren. Die Laparoskopie ist eine Technik, die uns einen minimal-invasiven Zugang zu dem defekten Gewebe ermöglicht, ohne gesundes Gewebe in Mitleidenschaft zu ziehen.“ Sämtliche Eingriffe erfolgen in Vollnarkose. Bei einem komplikationslosen Behandlungsverlauf können die Patienten die Klinik bereits nach wenigen Tagen wieder verlassen.

Wie groß ist die Gefahr von einer erneuten Inkontinenz?

Die Erfolgsquote bei einer Harninkontinenz-OP kann sich sehen lassen: „Nach einem Jahr liegt sie bei 90 Prozent, nach 5-10 Jahren bei etwa 70 Prozent“, erklärt Dr. Noé. „Bei einer Senkung erreichen wir eine Erfolgsquote von 85 Prozent nach etwa 1,5 Jahren. Danach wird eine Einordnung schwierig, da nur noch schlecht zu unterscheiden ist, ob der Voreingriff nicht gehalten hat oder ob neue Defekte aufgetreten sind.“

Da sich im Bereich des Beckenbodens vier verschiedene Bereiche absenken können, ist es durchaus möglich, dass sich nach einem an sich erfolgreichen Eingriff die bisher unbehandelten Bereiche absenken. Dies betrifft etwa 15 Prozent der Patientinnen. Zur Vorbeugung alle Teilbereiche auf einmal zu korrigieren, wäre ein unangemessen aggressives Vorgehen, betont der Urogynäkologe.  Zumal Re- und Folgeeingriffe bei wieder- oder neu auftretenden Beschwerden unproblematisch sind und jederzeit erfolgen können. Große Hoffnungen setzt Dr. Noe in die aktuellen Forschungen. „Besonders der Versuch, bei einer Straffung eine Substanz einzusetzen, die dem geschwächten Gewebe hilft, sich zu regenerieren, wäre ein großer Fortschritt für alle betroffenen Frauen.“

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