Schmerzfreie Tumorbehandlung ohne Operation
CyberKnife Centrum Mitteldeutschland
Dr. med. Hans-Ulrich Herold und Dr. med. Susanne Fichte
Strahlentherapie & Radioonkologie
Zum ProfilAkustikusneurinom
Ein Akustikusneurinom ist ein eher seltener, gutartiger Tumor im inneren Gehörgang und Kleinhirnbrückenwinkel. Als schmerzfreie und sichere Alternative zu einer Operation hat sich die radiochirurgische Behandlung, besonders mit dem sogenannten CyberKnife-System etabliert, erklärt PD Dr. med. habil. Klaus Hamm, Spezialist für Neurochirurgie im Cyberknife Centrum Mitteldeutschland in Erfurt (www.ckcm.de).
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Wie häufig treten Akustikusneurinome auf?
Dr. Hamm: „ In den meisten Ländern werden diese Fälle nicht flächendeckend registriert, aber in Dänemark. Dort wurden mit dem Einsatz frühzeitigerer und modernerer Diagnostik im Verlauf der Jahre zunehmend mehr Akustikusneurinome (bei 8 bis 22 Personen pro 1 Million Einwohner) festgestellt. Akustikusneurinome machen etwa 6 Prozent der Hirntumoren aus. Es gibt eine bestimmte Patientengruppe, die leider beidseitige Akustikusneurinome entwickelt. Das sind Patienten, die an Neurofibromatose Typ 2 (NF-2) leiden, einer genetisch bedingten Erkrankung mit dem Entstehen weiterer Neurinome und Neurofibrome im Kopf und im Wirbelkanal.“
Wie machen sich Akustikusneurinome bemerkbar?
Dr. Hamm: „Akustikusneurinome können über längere Zeit unbemerkt bleiben, weil sie in der Regel sehr langsam wachsen, zwischen 1 bis 2 Millimeter pro Jahr. Natürlich gibt es Ausnahmen: Einige wachsen schneller, bei anderen stagniert das Wachstum sogar für einige Zeit. Ein typisches Symptom, das sie durch ihre Raumforderung auslösen, ist Hörverlust auf der betroffenen Seite. Dieser kann sich langsam entwickeln oder plötzlich in Form eines Hörsturzes auftreten. Hinzu kommen Ohrgeräusche (Tinnitus) sowie Schwindel (vestibulärer Schwindel) und Gleichgewichtsstörungen, da die meisten dieser Tumoren am Nervus vestibularis (Gleichgewichtsnerv) entstehen. Sie werden deshalb auch als Vestibularisschwannome bezeichnet. Bei größeren Tumoren, die auf benachbarte Hirnnerven drücken, kann es zu Taubheitsgefühlen der betroffenen Gesichtshälfte (Nervus trigeminus) und Beeinträchtigung der Mimik (Nervus facialis) kommen.“
Podcast Vestibularis-Schwannom
In welchen Fällen würde man statt einer Operation eine Radiochirurgie mit dem Cyberknife wählen?
Dr. Hamm: „Akustikusneurinome werden nach ihrer Größe in verschiedene Stadien eingeteilt. Im Stadium 1 ist ein Akustikusneurinom auf den inneren Gehörgang beschränkt. Im Stadium 2 wächst der Tumor in den Kleinhirnbrückenwinkel hinein, im Stadium 3 erreicht er den Hirnstamm und im Stadium 4 drückt und verdrängt er den Hirnstamm. Es hat sich gezeigt, dass für die Stadien 1 bis 3 die radiochirurgische Behandlung gleichwertige Ergebnisse erzielt wie eine klassische Operation. In den letzten Jahren hat sich die Diagnostik deutlich verbessert, so dass wir viele Akustikusneurinome bereits in einem sehr frühen Stadium erkennen können. Dann ist eine Behandlung bei diesem gutartigen Tumor erst erforderlich, wenn ein Wachstum im MRT-Verlauf nachweisbar ist oder sich Symptome, wie z.B. der Hörverlust, verstärken. In diesen Fällen sollte man behandeln, um noch ein funktionelles Hören erhalten zu können.“
Wer entscheidet, ob eine Behandlung mit dem Cyberknife erfolgt?
Dr. Hamm: „Die Entscheidung sollte immer im interdisziplinären Spezialisten-Team erfolgen. Daher ist es auch so wichtig, für die Behandlung ein spezialisiertes Zentrum aufzusuchen. Bei uns beraten HNO-Ärzte, Neurochirurgen und das radiochirurgische Team (aus der Neurochirurgie und Strahlentherapie) jeden einzelnen Fall und unterbreiten ihren Vorschlag anschließend der Patientin oder dem Patienten in einem ausführlichen Aufklärungsgespräch. Denn natürlich muss die endgültige Entscheidung dann bei den Patienten liegen.“
Welche Untersuchungen sind im Vorfeld der Behandlung notwendig?
Dr. Hamm: „.Zunächst müssen hochauflösende und lückenlos dünnschichtige (1mm) MRT-Aufnahmen (Magnetresonanztomographie) mit Kontrastmittel vorliegen, die das Tumorgewebe anfärben und damit den Tumorrand gut sichtbar machen. Weitere spezielle MRT-Serien zeigen besonders den Verlauf von Nerven und Blutgefäßen und sind für die Schonung dieser den Tumor umgebenden Strukturen besonders wertvoll. Diese Daten werden in eine Planungssoftware eingespeist, zusammen mit einer kompletten, ebenfalls dünnschichtigen Planungs-CT-Serie (Computertomographie), für die eine spezielle Maske zur Fixierung des Kopfes hergestellt wird. Diese Maske unterstützt die Patienten, den Kopf während der Behandlung ruhig halten zu können. Anschließend erfolgt die Schicht-für-Schicht- Konturierung des Tumors als sogenanntes Zielvolumen für die Behandlung ohne einen zusätzlichen Sicherheitssaum. Auch die sogenannten Risikostrukturen wie Innenohr, Bogengänge, Hirnstamm, Hirnnerven und Augen, die vor der Strahlung geschützt werden müssen, werden präzise konturiert (eingezeichnet). Nach Festlegung der Dosisgrenzen erstellen unsere Medizinphysik-Spezialisten dann mit einer speziellen, inversen Planungs-Software verschiedene Planvorschläge. Anschließend entscheidet das Ärzteteam über die bestmögliche Variante. Es braucht in jedem Fall nicht nur die moderne Technik, sondern vor allem auch das spezialisierte und erfahrene Behandlungs-Team. Die Patienten müssen für den Planungsprozess nicht anwesend sein.“
„Cyberknife“ klingt sehr futuristisch – wie läuft eine Behandlung ab?
Dr. Hamm: „Der Name enthält den englischen Begriff ‚knife’, also Messer. Obwohl es sich um eine Strahlenbehandlung handelt, ist die Radiochirurgie so präzise wie ein Schnitt mit einem Messer. Dazu ist es allerdings erforderlich, dass sich die Patienten während der Behandlung nicht bewegen. Sie liegen bequem auf der Behandlungsliege und können auf Wunsch Musik hören . Der Kopf wird dabei mit der schon erwähnten Maske aus Kunststoffgeflecht fixiert, die eine Durchsicht ermöglicht. Die Behandlung selbst dauert dann zwischen 30 und 45 Minuten. Dabei werden die Photonenstrahlen in einem kompakten Linearbeschleuniger erzeugt und gebündelt, der von einem Roboter getragen und so exakt geführt wird, dass die Bestrahlung submillimetergenau (ca. 0,3mm) aus einer Vielzahl von Einstrahlrichtungen ausführt wird. Im Verlauf der Behandlung kann der Roboter diese notwendige Präzision permanent überprüfen und korrigieren. Falls sich eine Abweichung ergibt, bricht der Roboter sofort ab – mehr Sicherheit geht nicht.“
Benötigen die Patienten Beruhigungsmittel oder eine Narkose?
Dr. Hamm: „Die Behandlung ist vollkommen schmerzfrei, wird ambulant ausgeführt und erfordert keine Narkose. Ein Beruhigungsmittel ist nur in Ausnahmefällen erforderlich, etwa wenn ein Patient an Klaustrophobie (Angst in engen, geschlossenen Räumen) leidet. Einige Patienten kehren nach der Radiochirurgie gleich wieder an ihren Arbeitsplatz zurück.“
Wie häufig wird die Behandlung mit dem Cyberknife wiederholt?
Dr. Hamm: „Der besondere Komfort für unsere Patienten ist auch, dass in den meisten Fällen eine einmalige Behandlung ausreicht. Ausnahmen gibt es bei größeren Akustikusneurinomen, wenn eine Operation abgelehnt wird oder zu riskant ist. Hier kann es sinnvoll sein, die Behandlung genau so präzise in 3 bis 5 Sitzungen durchzuführen.“
Welche Nebenwirkungen hat die Radiochirurgie?
Dr. Hamm: „Durch den steilen Dosisabfall am Rand des Tumors zeigen sich glücklicherweise nur selten unerwünschte Nebenwirkungen. Als typische reaktive Veränderung kann allerdings eine sogenannte Pseudo-Progression auftreten. Dabei erscheint der Tumor durch einen kräftigen Kontrastmittelsaum im MRT nach etwa einem halben Jahr etwas größer, obwohl kein weiteres Tumorwachstum vorliegt. Bei weiteren MRT-Kontrollen bestätigt sich dann nach 1-2 Jahren in mehr als 90 Prozent der Fälle eine Tumorkontrolle, davon zeigt sich in ca. 50 Prozent der Tumor deutlich kleiner. Durch das genannte reaktive Pseudo-Wachstum kann es allerdings in 4-6 Prozent vorübergehend, aber nur in 1-2 Prozent dauerhaft zu einer Verschlechterung der Beschwerden kommen. Nur mit einer graduellen Hörverschlechterung der betroffenen Seite muss mit 30-50 Prozent gerechnet werden.“
Wie sind die Heilungsaussichten?
Dr. Hamm: „Ziel der Behandlung ist die sogenannte Tumorkontrolle. Das heißt, das Akustikusneurinom soll nach der Radiochirurgie schrumpfen oder zumindest nicht weiterwachsen. Studien zeigen, dass auch nach 10 und 15 Jahren noch ca. 90 Prozent der Patienten keine weitere Behandlung benötigen.
Kann bei einem Wiederauftreten des Akustikusneurinoms (Rezidiv) erneut eine Behandlung mit dem CyberKnife erfolgen?
Dr. Hamm: „Eine Wiederholung ist möglich. Der Zeitraum zwischen den Behandlungen sollte aber möglichst nicht weniger als 3 bis 4 Jahre betragen, je länger er ist, desto weniger riskant. Denn Wiederholungs-Behandlungen, egal ob eine 2. Operation oder 2. Radiochirurgie, sind immer mit einem höheren Risiko verbunden.“
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