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Die unterschätzte Krankheit

Leberzirrhose

Bei einer Leberzirrhose vernarbt das Lebergewebe nach und nach zu Bindegewebe und verliert seine Funktion. Da diese Erkrankung wenig Symptome auslöst, sind mehr Menschen betroffen als man denkt, erklärt Prof. Dr. med. Heiner Wedemeyer, Spezialist für Gastroenterologie und Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie der Medizinischen Hochschule Hannover.

Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO

Im Zusammenhang mit einer Leberzirrhose fällt immer wieder der Begriff „Säuferleber“. Ist Alkohol tatsächlich die Hauptursache für diese Erkrankung?

Grafik der Leber

Prof. Wedemeyer: „Nein. Übermäßiger Alkoholkonsum ist ein Faktor, der zu einer Leberzirrhose führen kann. Aber an erster Stelle der möglichen Ursachen steht die Fettleber, wobei Übergewicht und Diabetes hierfür häufig verantwortlich sind. Auch die verschiedenen Hepatitis-Viren, Autoimmunerkrankungen, angeborene Stoffwechselstörungen und Speicherdefekte, beispielsweise von Eisen oder Kupfer, können eine Leberzirrhose auslösen. Die Leber hat eine zentrale Rolle in unserem Stoffwechselsystem. Je mehr der eben genannten Faktoren zusammenkommen, desto größer ist die Gefahr einer Leberzirrhose. 1 plus 1 ergibt in diesem Fall mehr als 2.“

Stimmt es, dass mehr Männer als Frauen an einer Leberzirrhose erkranken?

Prof. Wedemeyer: „Wir wissen, dass die Entstehung einer Leberzirrhose auch von hormonell-regulierten Faktoren beeinflusst werden kann. Männer haben andere Hormonspiegel als Frauen. Hinzu kommt, dass die Monatsblutung mit ihrem regelmäßigen Eisenverlust wie ein Aderlass wirkt, der tatsächlich eine Therapieoption darstellt. Aus Sicht der Leber wäre daher bei Frauen eine Hormontherapie in der Post-Menopause überlegenswert. Allerdings sind hier natürlich Risiken für andere Organe zu berücksichtigen. Um es aber etwas lapidar auszudrücken: Schlecht für die Leber sind folgende Faktoren: männliches Geschlecht, Übergewicht, übermäßiger Alkoholkonsum, Rauchen und ein fortgeschrittenes Alter.

Warum wird eine Leberzirrhose oft erst spät entdeckt?

Prof. Wedemeyer: „Eine Leberzirrhose macht über einen langen Zeitraum wenig bis gar keine Symptome. Das liegt unter anderem daran, dass die Leber selbst nicht weh tut. Lediglich die Leberkapsel hat Nerven, die Schmerzen oder ein diffuses Druckgefühl verursachen können. Häufig äußert sich die Erkrankung durch anhaltende Erschöpfung. Man sagt daher, Müdigkeit ist der Schmerz der Leber. Wenn Symptome wie Gelbsucht oder Bauchwasser auftreten, dann ist die Leberzirrhose häufig schon weit fortgeschritten. Daher wird die Gefahr einer Leberzirrhose unterschätzt. Sehr viele Menschen leiden an dieser Erkrankung, ohne dass sie es wissen.“

Wie gefährlich ist eine Leberzirrhose?

Prof. Wedemeyer: „Neben der bereits genannten Müdigkeit kommt es durch die zunehmende Vernarbung der Leber zu Schwierigkeiten beim Blutdurchfluss. Dadurch wird Flüssigkeit aus den Gefäßen in den Bauchraum gedrückt und sammelt sich dort als Bauchwasser. Als gefährliche Folge dieser Durchflussprobleme können sich Umgehungskreisläufe bilden, die wiederum zu Krampfadern in der Speiseröhre führen können. Wenn diese Krampfadern platzen, könnten die Patienten verbluten. Eine fortschreitende Leberzirrhose kann auch die Immunantwort beeinflussen, so dass Betroffene unter einem erhöhten Infektionsrisiko leiden. Unter anderem verschlechtert eine Leberzirrhose auch die Prognose von Corona-Patienten und anderen Infekt-Erkrankten. Zudem kann sich die Anzahl der Blutplättchen verringern, so dass eine erhöhte Blutungsneigung besteht. Hinzu kommt, dass jede chronische Leberentzündung und jede Leberzirrhose die Entstehung von Leberzellkrebs begünstigt. Zusammenfassend kann man sagen: Wenn unsere Leber, die gleichzeitig, Kraftwerk, Speicher und Klärwerk des Körpers ist, stark geschädigt ist oder ausfällt, hat dies ernsthafte Konsequenzen für unsere Gesundheit und unser Überleben.“

Wie wird eine Leberzirrhose behandelt?

Prof. Dr. med. Heiner Wedemeyer, Spezialist für Gastroenterologie

Prof. Wedemeyer: „In erster Linie geht es darum, die Grunderkrankungen, durch die eine Leberzirrhose entstanden ist, zu heilen und eine gesündere Lebensweise anzustreben. Die Leberzirrhose und ihre möglichen Folgeerkrankungen müssen regelmäßig überwacht werden. Durch rechtzeitige Behandlungen können Patienten mit Leberzirrhose Jahre und Jahrzehnte überleben. Eigentlich ist unsere Leber ein phantastisches Organ: Selbst wenn man drei Viertel des Lebervolumens wegoperiert, wächst der verbleibende Leberrest innerhalb von einigen Wochen auf die ursprüngliche Größe nach. Wenn allerdings die Leber stark vernarbt ist, funktioniert dieses natürliche Wachstum nicht mehr. In gravierenden Fällen bleibt für die Betroffenen nur noch eine Lebertransplantation. Das ist an und für sich auch keine dramatische oder komplizierte Operation. Allerdings müssen die Patienten dann lebenslang Medikamente nehmen, um eine Abstoßung zu verhindern. Das größte Problem ist jedoch, dass es leider nicht genug Spenderorgane gibt, um alle Patienten mit einer lebensrettenden Transplantation behandeln zu können.“

Was können wir unserer Leber Gutes tun, damit sie gesund bleibt?

Prof. Wedemeyer: „Wie bei vielen Erkrankungen liegt der Schlüssel in einer gesunden Lebensweise: möglichst normalgewichtig bleiben, auf schädlichen Alkoholkonsum verzichten, nicht rauchen und viel Kaffee trinken – am besten 4 Tassen Filterkaffee pro Tag. Und so gesund Obst auch ist: Zuviel Fruktose schadet der Leber. Als Faustregel sage ich meinen Patienten gerne: Obst soll man essen, nicht trinken. Die Fruktose, die beim Obstessen aufgenommen wird, muss nicht noch durch Flüssigobst wie etwa Smoothies verdoppelt werden.“

Welche Vorsorgeuntersuchungen gibt es, bei denen eine Leberzirrhose festgestellt werden kann?

Prof. Wedemeyer: „Bei Laborkontrollen der Blutwerte werden in der Regel auch die wichtigsten Leberwerte aufgeführt. Sie können einen Hinweis darauf geben, ob eine Entzündung oder eine Einschränkung der Leberfunktion vorliegt. Weitere Blutmarker und Ultraschalluntersuchungen können auf eine Versteifung und Vernarbung der Leber hindeuten. Dies wäre dann ein Fall für einen Gastroenterologen. Ab dem kommenden Sommer soll die Kontrolle der Leber auch in den Leistungskatalog für die Check-up-Untersuchung ab dem 34. Lebensjahr aufgenommen werden.“

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