Ab 50 regelmäßig zur Darmkrebsvorsorge
Obwohl Darmspiegelungen heute dank eines Schlafmittels völlig schmerzfrei möglich sind, scheuen viele Menschen diese wichtige Vorsorgeuntersuchung. PD Dr. med. Peter Netzer, Spezialist für Gastroenterologie und Leiter des GastroZentrums Netzer AG in Bern, erklärt, warum es ab einem Alter von 50 Jahren so wichtig ist, zur Darmkrebsvorsorge zu gehen.
Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Warum sollte man sich regelmäßig einer Koloskopie (Dickdarmspiegelung) unterziehen?
Dr. Netzer: „Bei dieser unkomplizierten Vorsorgeuntersuchung können Darmpolypen, Vorstufen von Darmkrebs, erkannt und auch sofort entfernt werden. So können wir unsere Patienten in bis zu 90 Prozent der Fälle vor Krebs schützen. Von hundert untersuchten Patienten, die rein zur Vorsorge und ohne spezielle Risikofaktoren zu uns kommen, haben rund ein Drittel Darmpolypen und zum Glück weniger als ein Prozent ein Kolonkarzinom (Dickdarmkrebs). Und selbst wenn wir einen Darmkrebstumor finden, der noch keine Beschwerden verursacht hat, ist die Chance groß, dass er sich in einem frühen und damit heilbaren Stadium befindet. Koloskopien, die erst nach Auftreten der entsprechenden Beschwerden durchgeführt werden, bestätigen leider häufig ein bereits fortgeschrittenes Tumorwachstum. Daher ist bei Menschen ohne besondere Risikofaktoren ab dem 50. Lebensjahr alle zehn Jahre eine Vorsorgekoloskopie ratsam. Für den Fall, dass Polypen gefunden werden, wird das Untersuchungsintervall natürlich verkürzt. Wir besprechen nach jeder Darmspiegelung mit den Patienten, wann die nächste Darmvorsorge sinnvoll ist.“
Wie groß ist das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken?
Dr. Netzer: „Darmkrebs ist weltweit die dritthäufigste Krebsart und steht im Rahmen der tumorbedingten Sterblichkeit sogar an zweiter Stelle. Außerdem haben wir festgestellt, dass immer mehr auch jüngere Menschen an Darmkrebs erkranken. Das Problem ist, dass ein Kolonkarzinom häufig erst entdeckt wird, wenn es bereits zu spät ist, um es endoskopisch zu entfernen. In diesem Fall ist dann ein größerer chirurgischer Eingriff notwendig, bei dem ein Teil des Darms entfernt werden muss. Häufig ist auch eine Chemotherapie notwendig. All das kann durch die Darmkrebsvorsorge vermieden werden. Hat man Familienmitglieder mit Darmpolypen und vor allem Darmkrebs, steigt das Risiko für Darmkrebs zusätzlich.
Wie kann man Menschen die Angst vor einer Darmspiegelung nehmen?
Dr. Netzer: „Hier ist eine gute Aufklärung wichtig. Früher war die Untersuchung schmerzhaft, da der Patient wach war. Heute bekommen die Patienten in den allermeisten Fällen ein leichtes Schlafmittel, so dass sie nichts von der Untersuchung spüren. Bereits wenige Minuten nach dem Eingriff ist der Patient wieder voll da. Auch die Vorbereitung für eine Darmspiegelung ist sehr viel erträglicher geworden. Bis vor wenigen Jahren mussten Patienten noch bis zu vier Liter einer salzigen Lösung trinken. Heute reicht es in den meisten Fällen aus, den Darm mit zwei Litern Flüssigkeit zu spülen, von denen ein Liter am Vorabend und der andere am Tag der Untersuchung getrunken wird. Nur falls Patienten unter einer schweren Verstopfung leiden, muss die Flüssigkeitsmenge für die Koloskopie erhöht werden.
Gibt es Alternativen zur Darmspiegelung?
Dr. Netzer: „Neben der klassischen Koloskopie gibt es mindestens drei weitere Vorsorgeverfahren: Hierzu zählen Stuhltests, mit deren Hilfe verstecktes Blut im Stuhl nachgewiesen werden kann. Im positiven Fall ist dann allerdings auch eine Koloskopie notwendig. Leider wird mit Stuhltests höchstens ein Drittel der Tumore und noch weniger Polypen erfasst, so dass sie als alleinige Darmkrebsvorsorge nicht ausreicht. Bei der sogenannten ‚kleinen Darmspiegelung’, der Sigmoidoskopie, ist kein Schlafmittel und kein Abführen notwendig. Allerdings wird auch nur das letzte Drittel des Dickdarms untersucht, in dem sich rund 60 Prozent der Polypen und Tumore befinden. Falls bei der Sigmoidoskopie Polypen entdeckt werden, wird auch hier in einem zweiten Schritt der gesamte Darm per Koloskopie untersucht. Das dritte Verfahren ist die CT-Kolografie, ein radiologisches Verfahren, um das Innere des Dickdarms zu betrachten und auf Veränderungen zu untersuchen. Sie ahnen es: Auch hier muss bei einem positiven Befund eine klassische Koloskopie folgen. Der Nachteil dieser Methode ist zudem die Strahlenbelastung und die Gefahr, kleinere Polypen zu übersehen. Goldstandard bei der Darmkrebsvorsorge ist und bleibt also die Koloskopie. Zumal wir gleichzeitig intervenieren und Polypen bis zu einer Größe von zwei Zentimetern direkt entfernen können.“
Wie entfernen Sie größere Darmpolypen?
Dr. Netzer: „Falls die Polypen größer oder in höherer Anzahl vertreten sind, werden diese in einem zweiten Schritt entfernt. Dafür gibt es verschiedene endoskopische Methoden, nur in seltenen Fällen ist eine Operation nötig. Die Polypen werden in der Regel mit einer elektrischen Schlinge abgetragen (endoskopische Mukosaresektion, EMR). Bei sehr großen Polypen, schwierigen Untersuchungsbedingungen oder Frühstadien von Karzinomen wird die neuere Methode der Endoskopischen Submukosadissektion (ESD) angewandt. Dafür wird eine Koloskopie durchgeführt, in der Regel im Spital. Dabei wird der Darmtumor zunächst endoskopisch an den Rändern markiert. Danach wird eine spezielle Flüssigkeit unter den Tumor gespritzt, sodass er sich von der äußersten Darmwandschicht abhebt. Danach kann der Tumor mit einem elektrischen Messer, oft in Kombination mit einer elektrischen Schlinge, von der äußeren Darmwandschickt abgetrennt und entfernt werden. Teilweise wird dann die große Wunde mit verschiedenen Methoden verschlossen. Die äußerste Darmwandschicht bleibt in der Regel komplett erhalten. In ca. 10% der Fälle ist wegen Komplikationen oder zu bösartigem Gewebe eine Operation mit Entfernung eines Teils des Darms notwendig. 90% sind aber mit diesem Eingriff (ESD) geheilt.“
Wie erfolgreich ist die Darmkrebsvorsorge bisher?
Dr. Netzer: „Die Zehnjahresanalyse in Deutschland zeigt deutlich, dass die Darmkrebshäufigkeit und auch die entsprechenden Todesfälle deutlich abgenommen haben, seit das Vorsorgeprogramm 2003 von den Krankenkassen übernommen wurde. Bei uns in der Schweiz ist die Vorsorgekoloskopie erst seit 2013 kassenpflichtig anerkannt. Dieser Zeitraum ist noch zu kurz, um zuverlässige Daten für die Schweiz anzugeben. Erste Auswertungen sind aber vielversprechend. Daher kann ich nur jedem raten: Gehen Sie zur Darmkrebsvorsorge!“
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