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Spezialisierte Aortenzentren bündeln Infrastruktur, garantieren Behandlungsqualität und Sicherheit

Aortenchirurgie

Aortenchirurgie

Neue Empfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Gefäßchirurgie (ESVS) beinhalten eine Mindestfallzahl von 30 Aorteneingriffen pro Zentrum, um eine sichere Behandlung der Patienten zu gewährleisten, erklärt Prof. Dr. med. Jürg Schmidli, Gefäßchirurg und Chefarzt der Universitätsklinik für Herz- und Gefäßchirurgie am Inselspital, dem Universitätsspital Bern.

Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO

Welche aktuellen Entwicklungen gibt es in Bezug auf die Leitlinien zur Aortenchirurgie?

Universitätsklinik für Herz- und Gefäßchirurgie am Inselspital Bern

Prof. Schmidli: „Die ‚European Society of Vascular Surgery’ (ESVS) hat 2019 einige neue Empfehlungen veröffentlicht, die bis dahin nicht in den Leitlinien enthalten waren. Sie empfiehlt u. a. eine Mindestfallzahl von 30 Aorteneingriffen pro Institution, im Idealfall in einem spezialisierten Zentrum. Meiner Meinung nach sollten Kliniken, die weniger als 20 Fälle pro Jahr operieren, überhaupt keine Aorteneingriffe durchführen dürfen. Wir sind in der Schweiz in den meisten Kliniken weit von diesen Empfehlungen entfernt. Die Fallzahlen liegen stattdessen oft unter zehn Eingriffen pro Jahr und Klinik. Ein Mal pro Monat eine Aorta zu operieren ist meiner Meinung nach ‚Gelegenheitschirurgie’ und sollte nicht erlaubt sein. Aber nicht nur die Mindestfallzahl ist entscheidend, sondern auch die Qualität der Behandlung. Schließlich geht es nicht nur darum, möglichst viele Patienten zu operieren – sie sollen auch überleben, und zwar gut und lange.

Universitätsklinik-OP Inselspital Bern

Die Europäische Fachgesellschaft spricht sich zudem für überregionale Aortenzentren aus, die sowohl offene als auch endovaskuläre Aorteneingriffe beherrschen. Viele Patienten müssen, vor allem in England, zu lange auf ihre Operation warten. Wartezeiten bergen Risiken. Die neuen Leitlinien sehen vor, dass der Eingriff spätestens zwei Monate nach Indikationsstellung erfolgen muss. Erstmals sind in den Leitlinien auch spezielle Richtwerte für die Behandlung von Frauen erwähnt. Bisher waren Größenvorgaben – also bei welchem Aortendurchmesser operieren? -  und familiäre Vorbelastungen vor allem auf die Therapie von Männern bezogen. Man muss allerdings deutlich sagen: Erfahrungen aus zahlreichen internationalen Leitlinienprojekten zeigen, dass die Umsetzung und der Einsatz von Leitlinien im ärztlichen Alltag und ihr Einfluss auf die Versorgungsqualität verbesserungsbedürftig ist. Die Implementierung von Leitlinien in den medizinischen Versorgungsalltag ist ein Prozess, der kombinierte Strategien (Ärzte-Fortbildungen, Öffentlichkeitsarbeit, Kontrolle der Ergebnisqualität) umfassen muss, um letztlich Verhaltensänderungen herbeizuführen.

Wie beurteilen Sie diese neuen Empfehlungen zur Aortenchirurgie?

Prof. Schmidli: „Jeder Vorstoß, der die Sicherheit der Patienten und die Behandlungsqualität allgemein verbessert, ist begrüßenswert. Insbesondere ist es den Experten gelungen, Empfehlungen zu offenen Fragen, die bisher nicht beantwortet waren, zu erarbeiten.“

Wo gibt es weiterhin Nachbesserungsbedarf?

Prof. Schmidli: „Ein gutes Beispiel ist hier die Weiterentwicklung von Prothesenimplantaten für die Aortenchirurgie. Implantate mit offensichtlichen technischen Verbesserungen kommen in so schneller Abfolge auf den Markt, dass der wissenschaftliche Nachweis über ihren Nutzen – der zeitaufwendige Studien benötigt –  hinterherhinkt. So deuten die Ergebnisse der interventionellen Therapie klar auf Behandlungsvorteile hin. Das Verfahren darf aber noch nicht standardmäßig angewendet werden, weil der wissenschaftliche Beweis in Form großangelegter Studien fehlt. Es frustriert uns Gefäßchirurgen natürlich, gute Behandlungsmöglichkeiten zu haben, die wir nicht anwenden dürfen.“

Inwieweit können die überarbeiteten Leitlinien die Einrichtung von spezialisierten Aortenzentren vorantreiben?

Inselspital - Universitätsspital Bern

Prof. Schmidli: „Ich bin mir nicht sicher, wann dieses Ziel erreicht wird, aber die Gründung von Aortenzentren rückt nun stärker in den Fokus der Medizin und der Politik. In der Schweiz werden die Behandlungskosten der Patienten zu 45 Prozent von den Krankenkassen und zu 55 Prozent von den Kantonen getragen. Jeder Kanton hat ein finanzielles Interesse, dass „seine“ Patienten – also die mit Wohnsitz im eigenen Kanton –  in den kantonseigenen Kliniken behandelt werden. Um Geldabflüsse in andere Kantone zu vermeiden, stellen Kantone gern Spezialisten ein, um die Behandlungshoheit zu behalten, auch wenn die geforderten Mindestfallzahlen – zumal in kleinen Kantonen – nie erreicht werden können.  Dass es durchaus möglich ist, überregionale Zentren zu bilden, hat in der Schweiz die Interkantonale Vereinbarung über die hochspezialisierte Medizin (IVHSM) in Bezug auf die Behandlung von Patienten mit schwerem Hirntrauma bewiesen. Sie hat festgelegt, dass diese Erkrankungen nur von zehn spezialisierten Zentren in der Schweiz operiert werden dürfen. Das gleiche wünsche ich mir für die komplexe Aortenchirurgie.“

Gibt es konkrete Schritte zur Einrichtung von kantonsübergreifenden Aortenzentren in der Schweiz?

Prof. Schmidli: „Das wäre zu viel gesagt. Aber immerhin werden vom Bundesamt für Gesundheit seit einigen Jahren schweizweit für jedes einzelne Spital die Ergebnisse gewisser sogenannter Qualitätsindikatoren veröffentlicht. Dazu zählen vor allem die Höhe der Fallzahlen einer Klinik für einen bestimmten Eingriff und die Sterblichkeitsrate, also die Mortalität, bei diesem Eingriff. Diese Daten sind zum Teil ungenau, da beispielsweise verschiedene Krankheitsbilder vermengt werden oder die diversen Operationsverfahren nicht ganz klar voneinander abgegrenzt werden. Dennoch, immerhin weisen diese Zahlen und Fakten zum Beispiel einem interessierten Hausarzt oder einem Patienten den Weg, die richtige Klinik auszuwählen.  Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.“

Warum sind spezialisierte Aortenzentren Ihrer Meinung nach so wichtig für die Versorgung der Patienten?

Inselspital Bern Helikopter

Prof. Schmidli: „In Bezug auf die hochkomplexe und risikobehaftete Aortenchirurgie können nur spezialisierte Zentren sämtliche Vorhalteleistungen für eine Rund-um-die-Uhr-Aufnahme und -Behandlung sicherstellen. Aortenzentren sind in der Lage, die gesamte Breite der verschiedenen Therapiemöglichkeiten anzubieten, weil hier Fachärzte verschiedener Disziplinen zu einer gemeinsamen Beurteilung zusammenkommen und einzig und allein das Wohl des Patienten im Auge haben. Da die Expertise auf vielen Schultern verteilt ist, sind innerhalb eines Aortenzentrums sogar weitere Sub-Spezialisierungen möglich. Hinzu kommt, dass diese Zentren der hochspezialisierten Medizin durch das „Viel-Augen-Prinzip“ strengen Kontrollen unterliegen. Das fördert die Einhaltung von Leitlinien und Empfehlungen der Expertengruppen und erreicht somit die größtmögliche Behandlungsqualität und Patientensicherheit.“

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