Gefährliche Aussackungen der Bauchschlagader
Aortenaneurysmen
Aortenaneurysmen bleiben häufig lange unentdeckt und verursachen meist erst dann lebensbedrohliche Komplikationen, wenn sie reißen oder platzen. Der Großteil der Aortenaneurysmen tritt im Bauchraum auf, erklärt Prof. Dr. Michael Gawenda, Spezialist für Gefäßchirurgie und Chefarzt im Euregio Gefäßzentrum Eschweiler.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Warum bilden sich Aortenaneurysmen besonders häufig im Bauchraum?
Prof. Gawenda: „ 60 bis 70 Prozent der Aneurysmen entstehen in der Tat im Bereich der abdominalen Aorta. Dies ist offenbar der besonderen Anatomie der Bauchaorta geschuldet. Neue Erkenntnisse deuten darauf hin, dass die Aortenwand nicht so elastisch ist wie im Thorax und sich daher leichter Aussackungen bilden können.“
Welche Symptome verursachen Aneurysmen der Bauchaorta?
Prof. Gawenda: „In den meisten Fällen, also bei 80 bis 85 Prozent, treten gar keine Symptome auf. Und wenn ein Aneurysma Beschwerden verursacht, sind diese oft uncharakteristisch: Sie reichen von einem diffusen Druck im Bauch bis hin zu Rückenschmerzen. Falls das Aneurysma reißt, tritt ein akuter, heftiger Schmerz auf. Aufgrund des Blutverlusts droht ein Kreislaufversagen, so dass bei einer Ruptur sofort eine Notfallbehandlung eingeleitet werden muss.“
Welche Diagnostik ist zur Feststellung von abdominellen Aneurysmen erforderlich?
Prof. Gawenda: „ Die meisten Aneurysmen werden zufällig bei einem Ultraschall entdeckt, der aus anderen Gründen erfolgt. Auch wenn der Verdacht auf ein Aneurysma besteht, ist der völlig schmerzlose Ultraschall das Diagnoseverfahren erster Wahl. Wenn ein diagnostiziertes Aneurysma eine kritische Größe von mehr als 4 Zentimetern aufweist, werden zur genaueren Bewertung eine MRT (Magnetresonanztomographie) oder CT (Computertomographie) durchgeführt.“
Welche Behandlung ist bei einem Bauchaortenaneurysma möglich?
Prof. Gawenda: „Nach den internationalen Leitlinien sind Aneurysmen mit einem Durchmesser von mehr als 55 Millimetern therapiebedürftig. Bei Frauen gilt dies bereits ab einem Durchmesser von 50 Millimetern. Bei kleineren Aneurysmen beobachtet man die Entwicklung und kontrolliert regelmäßig Größe und Ausprägung. Mit Hilfe einer guten Blutdruckeinstellung oder Cholesterinsenkern kann man versuchen, ein Fortschreiten der Erkrankung zu unterbinden. Das gelingt leider nicht in allen Fällen.“
Wann muss ein Aortenaneurysma im Bauchraum operiert werden?
Prof. Gawenda: „Entscheidend für einen chirurgischen Eingriff ist nicht allein die Größe, sondern auch die Rupturgefahr sowie Ablagerungen im Aneurysma. Dies ist immer eine individuelle Entscheidung für jeden einzelnen Patienten. In 85 Prozent der Fälle operieren wir endovaskulär, also per Katheter über die Leistenarterie. Nur bei bestimmten Voraussetzungen, in höchstens 15 Prozent aller Fälle, ist ein offen-operativer Eingriff mit einem Bauchschnitt erforderlich.“
Was genau passiert bei einer Operation eines Bauchaortenaneurysmas?
Prof. Gawenda: „Die Aorta bekommt an der geschädigten Stelle sozusagen eine neue ‚Tapete’, das heißt wir schützen die erkrankte Aortenwand mit einer Prothese. Dies geschieht in der Regel durch eine röhrenförmige Stentprothese, die durch einen Zugang über die Leistenarterie bis zum Aneurysma an der Bauchschlagader vorgeschoben wird. Im Falle einer offenen Operation wird das Aneurysma, also die krankhafte Aussackung entfernt und die stabilisierende Prothese per Hand eingenäht.“
Wie gefährlich sind diese Operationen an der Bauchschlagader?
Prof. Gawenda: „Jede Operation geht mit einem Risiko einher. Daher ist es auch besonders wichtig im Vorfeld gründlich abzuwägen, ob eine Operation sinnvoll und erfolgversprechend ist. Aus diesem Grund dürfen Aneurysmen auch erst ab einer bestimmten Größe operiert werden. Der Eingriff selbst ist immer sorgfältig vorbereitet, egal ob offen oder endovaskulär operiert wird. Wichtig ist, dass der Chirurg über eine langjährige Erfahrung verfügt und möglichst viele Aortenoperationen pro Jahr ausführt. Patienten sollten also einen Gefäßspezialisten aufsuchen und nicht einfach die Klinik nebenan für diesen Eingriff wählen.“
Wie belastend ist die Operation eines abdominalen Aneurysmas für die Patienten?
Prof. Gawenda: „Eine offene Operation erfolgt selbstverständlich in Vollnarkose. Ein endovaskulärer Eingriff kann ebenfalls in Vollnarkose, aber auch in Teilnarkose oder nur in örtlicher Betäubung ausgeführt werden. Nach einem offenen Eingriff wird der Patient zunächst auf der Intensivstation beobachtet und verlässt das Krankenhaus, wenn er sich wieder gut fühlt und die Wunden verheilt sind. Bei einem minimalinvasiven, katheterbasierten Eingriff können unsere Patienten das Krankenhaus nach einer Woche verlassen. Allerdings sind bei diesem Verfahren etwas umfangreichere Nachuntersuchungen erforderlich, um sicher zu stellen, dass die Stentprothese richtig liegt und dicht hält. Die Ergebnisse sind nach einem Jahr übrigens gleich, egal ob minimalinvasiv oder offen operiert wurde. Daher ist es jeweils eine individuelle Entscheidung, welches Operationsverfahren angewandt wird.“
Wie groß ist die Gefahr, dass sich erneut Aneurysmen bilden?
Prof. Gawenda: „Es gibt ein deutlich erhöhtes sekundäres Anerurysma-Risiko, meist direkt unterhalb oder oberhalb der geschädigten Aortenwand. Daher sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen notwendig.“
Welche neuen Entwicklungen und Forschungen gibt es in Bezug auf die Behandlung von Bauchaortenaneurysmen?
Prof. Gawenda: „Es ist zu erwarten, dass sich die endovaskulären bzw. minimalinvasiven Operationstechniken weiter entwickeln werden und auch die Gefäßprothesen in Zukunft noch feiner werden. Beides wird dazu beitragen, notwendige Eingriffe noch schonender für die Patienten gestalten zu können. Zudem gibt es bereits interessante Forschungen zu den Gründen, warum Aneurysmen entstehen und in wieweit genetische Faktoren eine Rolle spielen. Möglicherweise wird die familiäre Vorbelastung noch unterschätzt. Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, ist es vielleicht bald schon möglich, potentielle Risikogruppen in einem Screening-Programm zu beobachten, wie dies beispielsweise bei Brustkrebs der Fall ist.“
Fachbeiträge zum Thema Gefäßchirurgie
Gefäßerkrankungen mit Prof. Ernst Weigang
Prof. Ernst Weigang vom Evangelischen Krankenhaus Hubertus in Berlin illustriert, wie Gefäßerkrankungen erkannt und behandelt werden.
Hilfreicher Kurzschluss zwischen Vene und Arterie
Prof. Dr. med. Ernst Weigang ist Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie und endovaskuläre Therapie im Evangelischen Krankenhaus Hubertus in Berlin. Er…
Spezialisierte Aortenzentren bündeln Infrastruktur, garantieren Behandlungsqualität und Sicherheit
Neue Empfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Gefäßchirurgie beinhalten eine Mindestfallzahl von Aorteneingriffen, um sichere Behandlung der…
Niereninsuffizienz / Dialyse: Prof. Ernst Weigang
Wer regelmäßig zur Dialyse muss, sollte einen Shunt bekommen. Damit sind alle normalen Alltagsbewegungen ohne Einschränkungen möglich, so der Chefarzt…
Die meisten Schlaganfälle sind vermeidbar
Ein Fünftel der rund 250.000 Schlaganfälle pro Jahr entwickelt sich aufgrund einer Einengung der Halsschlagader, obwohl sich Risiko durch vernünftige…
Gefäßchirurgie – Aorta-OP: Prof. Alexander Zimmermann
Die Aorta, Hauptschlagader, versorgt den gesamten menschlichen Körper mit Blut. Sie reicht vom Herzen bis in den Unterkörper und hat bei gesunden…
Prof. Ernst Weigang: Periphere Arterielle Verschlusskrankheit
Wenn das Gehen zur Qual wird und schon nach wenigen Minuten Schmerzen oder Krämpfe in den Beinen auftreten, kann das an Durchblutungsstörungen liegen,…
Carotisstenose: Prof. Christoph Neumayer
Eine Verengung der Halsschlagader spürt man erst, wenn sie ernsthafte Probleme macht! Ursache ist Arteriosklerose, Verkalkung der Blutgefäße, und kann…
Carotisstenose: Prof. Ernst Weigang
Prof. Ernst Weigang verdeutlicht das Risiko der gefährlichen Engpässe der Halsschlagader durch Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes und Rauchen schon…
Endovaskuläre Gefäßchirurgie: Dr. László Pintér
Aneurysma, Krampfadern oder Stenose: Schonende Behandlung auch für Hochrisikopatient*innen! Meist örtliche Betäubung möglich.
Aneurysma – hybride OPs: Dr. Stefan Ludwig
Hybridchirurgie, die Zukunft: Zu den Kliniken mit einem Hybrid-OP-Saal gehört das Städtische Klinikum Dresden, wo der Chefarzt und Gefäßspezialist Dr.…
OP der Halsschlagader nur in Gefäßzentren
Verengungen der Halsschlagader können zu lebensgefährlichen Schlaganfällen führen. Eine OP sollte unbedingt von routinierten Chirurgen in Gefäßzentren…
Ein harmloser Name für ein ernsthaftes Problem
Die im Volksmund als „Schaufensterkrankheit“ bezeichnete periphere Arterielle Verschlusskrankheit kann im schlimmsten Fall eine Amputation notwendig…
Erfolgreiche Qualitätsoffensive des Aortenzentrums Berlin-Brandenburg
Im Gegensatz zu vielen anderen Kliniken übertrifft das Aortenzentrum des Evangelischen Krankenhauses Hubertus die Auflagen einer neuen…
"Schaufensterkrankheit" rechtzeitig behandeln
Die so harmlos klingende Gefäßerkrankung kann schwere Durchblutungsstörungen oder Amputationen zur Folge haben: Die Periphere arterielle…
Krankheiten der Aorta: Prof. Ernst Weigang
Schon ein feiner Riss in der Innenhaut unserer Hauptschlagader, der Aorta, oder ein geplatztes Aneurysma, eine gerissene Gefäßaussackung, kann eine…