Ein harmloser Name für ein ernsthaftes Problem


Periphere Arterielle Verschlusskrankheit

Die im Volksmund als „Schaufensterkrankheit“ bezeichnete periphere Arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) kann im schlimmsten Fall eine Amputation notwendig machen, erklärt Prof. Dr. med. Ernst Weigang, Spezialist für Gefäßchirurgie sowie Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie und endovaskuläre Therapie, Gefäßzentrum Berlin-Brandenburg, im Evangelischen Krankenhaus Hubertus in Berlin.

Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO

 

Was sind typische Anzeichen einer pAVK?

Gefäßzentrum Berlin-Brandenburg

Prof. Weigang: „Die Beschwerden sind abhängig vom Stadium der Erkrankung. Während die Patienten im ersten Stadium häufig gar keine Symptome bemerken, treten ab dem zweiten Stadium der Erkrankung häufig Schmerzen in der Wadenmuskulatur auf. Dadurch müssen die betroffenen Patienten immer wieder Stehen bleiben. Weil dies einigen Patienten peinlich ist, tun sie so, als würden sie pausieren, um ein Schaufenster zu betrachten. Daher stammt die Bezeichnung Schaufensterkrankheit. Je nach Länge der möglichen Gehstrecke wird das zweite Krankheitsstadium weiter unterteilt. Ab dem dritten Stadium treten dann auch Ruheschmerzen in den Unterschenkeln auf, vor allem nachts, wenn die Patienten nicht abgelenkt sind. Im vierten Stadium, wenn die Krankheit bereits weit fortgeschritten ist, kann es zu sogenannten trophischen Störungen (Gewebeveränderungen), Nekrosen (Absterben von Gewebe) oder Gangränen (Verwesungserscheinungen) kommen, bei der die Haut sich schwarz verfärbt und abstirbt.“

Was sind die Ursachen der Schaufensterkrankheit?

Prof. Weigang: „Die Hauptursache der pAVK ist die Atherosklerose. Dabei bilden sich Ablagerungen wie z.B. Kalk in den Blutgefäßen. Dadurch entstehen Engstellen, häufig im Bereich des Beckens, der Leiste oder der Oberschenkel, und führen zu Durchblutungsstörungen. Die Muskulatur unterhalb dieser Engstellen werden nicht mehr ausreichend mit sauerstoffreichem Blut versorgt, was dann zu den bereits beschriebenen Beschwerden führt.“

Wer ist besonders von der „Schaufensterkrankheit“ gefährdet?

Evangelisches Krankenhaus Hubertus Klinik für Gefäßchirurgie und endovaskuläre Therapie

Prof. Weigang: „Betroffen sind häufig Patienten, die in ihrem Leben geraucht haben. Dazu kommen andere kardio-vaskuläre Risikofaktoren, wie z.B. erhöhte Blutfettwerte (Cholesterin), hohe Zuckerwerte bei Diabetes, die auf Dauer die Gefäße schädigen, und natürlich anhaltender Bluthochdruck. Als mögliche Ursache der pAVK wird auch eine familiäre Belastung diskutiert, eine vererbte Veranlagung. Einige Betroffene sind der Meinung, dass die pAVK bei ihnen durch Stress im Beruf ausgelöst wurde. Dafür gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg. Allerdings klagen stressgeplagte Menschen häufig über Bewegungsmangel und versuchen, die Anspannung durch Süchte, wie z.B. das Rauchen, zu kompensieren. In diesem Fall käme Stress indirekt doch als Faktor für die periphere Arterielle Verschlusskrankheit in Frage. Normalerweise sind von einer pAVK eher ältere Patienten ab einem Alter von 60 Jahren betroffen. Ich habe allerdings auch schon einen 35-Jährigen behandelt, der täglich bis zu 120 Zigaretten geraucht hat und in Folge dessen an einer schweren pAVK litt. Auch bei Patienten, die an einem juvenilen Diabetes Typ 1 leiden, entwickeln sich manchmal bereits in jungen Jahren schwarze, abgestorben Zehen oder Ulcerationen (Geschwürbildungen) an der Fußsohle.“

Wie gefährlich ist eine pAVK?

Prof. Weigang: „Man muss es ganz deutlich und drastisch sagen: Jedem pAVK-Patienten im fortgeschrittenen Stadium droht im schlimmsten Fall eine Amputation. Diese Entwicklung versuchen wir Ärzte unbedingt zu verhindern. Der Körper sendet frühzeitig Warnsignale aus. Die Patienten spüren, dass etwas nicht stimmt. Sie bemerken, dass sie immer schlechter laufen können. Dass die Gehstrecke, die sie schmerzfrei bewältigen, sich immer weiter verkürzt. Aber wenn sie dann nicht entsprechend handeln und sich nicht bemühen, die vorhandenen Risikofaktoren auszuschalten, schreitet die Erkrankung weiter voran und am Ende droht im schlimmsten Fall die Amputation. Leider erleben wir immer wieder Patienten, die nicht bereit sind, das Rauchen aufzugeben, obwohl sie bei uns schon wegen eines abgestorbenen Zehs behandelt wurden.“

Podcast Periphere Arterielle Verschlusskrankheit

Kommen die meisten Patienten bereits mit dem Verdacht auf eine pAVK zu Ihnen?

Prof. Weigang: „Das Gefäßzentrum Berlin-Brandenburg wurde von allen drei Fachgesellschaften, der Deutschen Gesellschaft für Angiologie, der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und der Deutschen Röntgengesellschaft als  Interdisziplinäres Gefäßzentrum (IGZ) zertifiziert und wird regelmäßig überprüft. Dadurch sind wir in der Stadt und auch darüber hinaus bekannt und erhalten viele Zuweisungen von Haus- oder Fachärzten, die ihre Patienten mit dem Verdacht auf eine pAVK zu uns schicken. Zudem haben wir im Stadtgebiet zahlreiche Partnerkliniken, deren Fachabteilungen Patienten mit typischen Beschwerden zu uns zur Behandlung überweisen. Aber es gibt durchaus auch Patienten, die sich direkt an uns wenden. Auch das ist jederzeit über unsere Gefäßsprechstunde oder im akuten Fall über unsere Rettungsstelle möglich.“

Welche Diagnostikschritte sind erforderlich?

Prof. Weigang: „Neben der Erhebung der typischen Krankengeschichte wird zunächst eine körperliche Untersuchung vorgenommen. Im Vordergrund stehen dabei die Beine und Füße: Wirken sie blass? Gibt es Temperaturunterschiede zwischen dem rechten und linken Fuß? Gibt es Stellen, an denen der Puls nicht mehr tastbar ist? Anschließend erfolgt die apparative Diagnostik. Dazu gehören u.a. eine sogenannte Dopplerdruckmessung und eine Duplex-Sonografie des Gefäßsystems. Mit diesen speziellen Ultraschalluntersuchungen können wir feststellen, wo sich Engstellen in den Gefäßen befinden, wie gut der Blutfluss funktioniert bzw. wie hochgradig die Engstelle ist.  Auf dem Laufband können wir die Gehstrecke bestimmen, die möglich ist, bis bei den Patienten Schmerzen im Unterschenkel, Oberschenkel oder Gesäß einsetzen. Sofern eine Engstelle in einem Blutgefäß festgestellt wurde, folgt im nächsten Schritt die radiologische Bildgebung. Als Untersuchungsmethoden kommen hier eine Magnetresonanzangiographie (MRA) oder alternativ eine computertomographische Angiographie (CTA) in Frage, mit deren Hilfe wir die Blutgefäße dreidimensional darstellen können. Sofern für eine Operationsplanung eine weitere Darstellung der Engstellen erforderlich ist, bieten unsere Radiologen eine konventionelle Angiographie mit Kontrastmittel an. Der Vorteil für unsere Gefäßpatienten ist, dass wir alle notwendigen Geräte hierfür im Haus haben.“

Wie wird eine pAVK behandelt?

Prof. Dr. med. Ernst Weigang, MBA im Aortenzentrum Berlin-Brandenburg

Prof. Weigang: „Wir bieten in unserem Interdisziplinären Gefäßzentrum bei einer pAVK eine leitliniengerechte Behandlung nach einem Stufenkonzept an. In der ersten Stufe wird zunächst versucht, das Krankheitsbild der peripheren Arteriellen Verschlusskrankheit konservativ zu behandeln. Die Patienten werden von unseren Angiologen medikamentös behandelt und absolvieren ein Gehtraining im Rahmen einer ärztlich angeleiteten Gefäßsportgruppe . Der Körper ist in der Lage, eigenständig „Bypässe“ für verengte Gefäße anzulegen. Er sucht praktisch neue Wege im Gefäßsystem, um den Blutfluss in die mangelhaft versorgten Körperregionen zu ermöglichen. Voraussetzung ist natürlich, dass Risikofaktoren und mögliche Ursachen der pAVK abgestellt oder –sofern möglich- medikamentös behandelt werden. In einer zweiten Stufe erfolgt dann eine Behandlung durch unsere interventionellen Radiologen. Hier können beispielsweise Engstellen per Katheter mit Hilfe eines Ballons aufgedehnt werden. Im Rahmen dieses Verfahrens gibt es seit kurzem auch sogenannte ‚Drug eluting balloons’, also Ballons, die in der Gefäßengstelle gleichzeitig Medikamente abgeben können. Ebenso können mit einem Katheter auch Gefäßstützen, sogenannte ‚Stents’, eingebracht werden, die die Blutbahn offen halten und den Blutfluss ermöglichen. Erst als dritte Stufe erfolgt die gefäßchirurgische Operation. Diese sieht so aus, dass wir Engstellen mit Hilfe von Bypässen umgehen, die wir aus körpereigenem Material gewinnen. Dazu verwenden wir in der Regel eine Vene aus der gleichen Körperregion. Möglich sind bei uns auch biologische Gefäßprothesen (in Schafen gezüchtet). In gelenküberschreitenden Regionen, wie z.B. der Leiste oder dem Kniegelenk, können keine Stents implantiert werden, weil diese der Knickbelastung nicht dauerhaft standhalten würden. Bei Engstellen der Leistenschlagader öffnen wir die Arterie,  entfernen den Kalk und verschließen die Naht mit einer sogenannten Patchplastik, einem Flicken aus biologischem Material. Kunststoff verwenden wir nur im Ausnahmefall.“

Wie schnell tritt eine Besserung ein?

Prof. Weigang: „Das Schöne ist, dass die Patienten bei einer erfolgreichen Therapie sofort eine Verbesserung spüren. In der Regel können sie nach einer Intervention bereits am nächsten Tag entlassen werden. Sofern eine Operation notwendig war, gönnen wir den Patienten ein bis zwei Tage Ruhe. Sie spüren die Wärme dank der besseren Durchblutung dann bei ihren ersten Schritten nach dem Eingriff. Bei einer konservativen pAVK-Therapie, die auf langfristigem Training basiert, brauchen die Patienten etwas mehr Durchhaltevermögen. Hier treten die Erfolge natürlich sehr viel langsamer ein. Es kann sein, dass es Monate dauert, ehe eine Verbesserung spürbar ist. Nach Kathetereingriffen oder einer gefäßchirurgischen Intervention endet die Nachsorge nicht mit dem Fädenziehen. Alle pAVK-Patienten sollten regelmäßig Kontrolluntersuchungen wahrnehmen, auch bei niedriggradigen Gefäßveränderungen, um rechtzeitig eine Verschlechterung der Erkrankung zu erkennen.“

Kann es trotz erfolgreicher Behandlung erneut zu einer pAVK kommen?

Prof. Weigang: „Ja. Atherosklerose als Ursache der peripheren Arteriellen Verschlusskrankheit ist nicht auf eine Körperregion beschränkt, sondern tritt häufig an mehreren Stellen im Körper auf. Daher ist es auch so wichtig, regelmäßige Kontrolluntersuchungen durchzuführen, um Verschlechterungen der Durchblutung rasch festzustellen und möglichst konservativ oder interventionell zu behandeln. Weitere Operationen versuchen wir möglichst zu vermeiden.“


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