Nerven dürfen nicht geschont werden
Neurologische Rehabilitation
Nach der Behandlung von Hirntumoren und bei peripheren Nervenschädigungen sind zeitnahe Reha-Maßnahmen wichtig, um Funktionsverluste zu vermeiden, erklärt Prof. Dr. med. Andreas R. Luft, Spezialist für neurologische Rehabilitation und medizinischer Direktor der Zentren für Neurologie & Rehabilitation – cereneo Vitznau und Hertenstein.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Welche Folgeerscheinungen und Beeinträchtigungen können nach einer Gehirntumor-OP auftreten?
Prof. Luft: „Nach einer Operation können neurologische Symptome wie Halbseitenlähmung, Gesichtslähmung oder Gangstörungen auftreten, je nachdem in welcher Hirnregion der Tumor lag. Auch gibt es nach der Entfernung größerer (meist gutartiger) Tumore zeitweise auftretende Persönlichkeitsstörungen. Diese können sich in Aggressionen, Verwirrungszuständen oder verstärkter Jovialität äußern. Einige Betroffene leiden unter Halluzinationen oder Illusionen. Diese Folgeerscheinungen können durchaus das Bild einer Psychose annehmen.“
Können diese durch gezielte Reha-Maßnahmen positiv beeinflusst werden?
Prof. Luft: „Die nach einer Operation auftretenden Symptome sprechen gut auf rehabilitatives Training an und bilden sich in der Mehrheit der Fälle zurück.“
Bei welchen Erkrankungen oder Unfällen können die Nerven des peripheren Nervensystems so verletzt werden, dass sie nicht mehr richtig funktionieren?
Prof. Luft: „Immer, wenn es zu einer kompletten Durchtrennung von Nerven kommt, meist infolge eines Unfalls. Das kann man sich vorstellen wie eine Glühbirne, die nicht mehr leuchtet, wenn das Kabel gerissen ist. Meist werden die Nerven genäht und wir hoffen, dass die Nervenfasern wieder zusammenwachsen. Aber die Funktion ist zunächst gestört.“
Welche Reha-Maßnahmen sind erforderlich, damit sich geschädigte Nerven erholen?
Prof. Luft: „Insbesondere muss man verhindern, dass die Muskeln schwinden oder sich Gelenke versteifen. Die Nerven müssen selbst wieder auswachsen und sich mit den Muskeln verbinden. Das wird nur durch Stimulation und Training erreicht. Anders als bei Knochen, die man eingipst, damit sie in Ruhe zusammenwachsen, dürfen Nerven auf keinen Fall geschont werden. Selbst intakte Nervenbahnen bilden sich zurück, wenn sie nicht genutzt werden.“
Wie motivieren Sie die Patienten für Reha-Maßnahmen?
Prof. Luft: „Wir versuchen, eine optimale Umgebung zu schaffen, in der sich die Patientin oder der Patient wohl fühlt. Wichtiger sind aber spezifische Anreize und Belohnungen, zum Beispiel für großen Einsatz und Erfolg beim Training. Zentrales Element dieses Anreizes ist das Aufzeigen von Verbesserungen anhand von Messwerten. So können wir dem Patienten die Besserung der Symptome deutlich vor Augen führen.“
Wie lange dauert es bis Erfolge für die Patienten sicht- und spürbar werden?
Prof. Luft: „Das kann teilweise schon nach 1-2 Wochen der Fall sein, dauert aber im Einzelfall auch länger. Viele Patienten, insbesondere nach einem Schlaganfall, sehen aber die eigene Besserung nicht, was auf eine Form der Schlaganfalldepression zurückzuführen ist. Bei solchen Patienten ist die oben beschriebene Rückmeldung besonders wichtig.“
Wie wichtig sind zeitnahe Reha-Maßnahmen?
Prof. Luft: „Beim Schlaganfall weiß man, dass die Erholung in den ersten Wochen und wenigen Monaten am schnellsten verläuft, weil das Gehirn durch den Schlaganfall lernfähiger wird (eine Art von Anreiz zur Selbstheilung). Bei anderen Hirnverletzungen verläuft die Erholung linearer und über längere Zeit. Fakt ist: Je länger man wartet, desto schwieriger wird es. Je mehr Beeinträchtigungen oder Behinderungen die Patienten mit nach Hause nehmen, desto belastender wird die Situation. Häufig vervielfältigen sich die Probleme, weil die Patienten selbst mit der veränderten Situation nicht klar kommen oder dadurch Probleme in der Partnerschaft entstehen. Auch finanzielle Sorgen und psychische Belastungen spielen eine große Rolle. Daher ist es wichtig, dass Patienten mit neurologischen Einschränkungen gut betreut und begleitet werden.“
Wie helfen Sie Patienten mit bleibenden neurologischen Schäden?
Prof. Luft: „Je schwerer die Hirnverletzung, desto wahrscheinlicher ist es, dass eine Behinderung zurückbleibt. Die Patienten müssen dann lernen, damit umzugehen: Zum Teil können sie im Alltag lernen, mit einer Behinderung, zum Beispiel einer Lähmung des Armes, zurecht zu kommen. Oft erfordert dieser Anpassungsprozess auch eine psychologische Betreuung. Beides ist auch Aufgabe der Rehabilitation.“
Ist eine neurologische Reha auch ambulant möglich?
Prof. Luft: „Auch ambulant oder online (telerehabilitativ) ist eine effektive Behandlung möglich. Bei schwer betroffenen Patienten sind der Behandlung zu Hause allerdings klare Grenzen gesetzt.“
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