Schäden rückgängig machen
Viele Funktionseinschränkungen, die durch einen Schlaganfall entstanden sind, können durch gezielte Reha-Maßnahmen zurück gebildet werden, erklärt Prof. Dr. med. Andreas R. Luft, Spezialist für Neurologische Rehabilitation und medizinischer Direktor des Zentrums für Neurologie & Rehabilitation – cereneo in Vitznau bei Luzern.
Interview: Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO
Was sind typische Schlaganfall-Folgen, denen Sie in Ihrer Rehaklinik regelmäßig begegnen?
Prof. Luft: „Das sind vor allem Bewegungseinschränkungen, wie z.B. die Halbseitenlähmung, Sprachverarbeitungs- und Sprechstörungen, sowie kognitive Störungen. Zu letzteren zählen Aufmerksamkeitsdefizite und Einschränkungen der Gedächtnisleistung. Einige Patienten sind nach einem Schlaganfall nicht mehr in der Lage, komplexe Aufgaben zu bewältigen, z.B. Vorhaben planen und anschließend durchführen. Seltener folgen auf einen Schlaganfall Probleme wie Gesichtsfeldeinschränkungen, Schwindel, Schluckbeschwerden oder andere Empfindungsstörungen.“
Was sind wichtige Komponenten der Schlaganfall Rehabilitation?
Prof. Luft: „Unser Schwerpunkt liegt auf dem Kurieren der Defizite. Es gibt in der Schlaganfall Reha auch den Ansatz der Kompensation, durch die sich natürlich sehr viel schneller Erfolge erzielen lassen. Kompensationstherapien zielen z.B. darauf ab, die Zähne mit der linken Hand zu putzen, statt mit der nur eingeschränkt beweglichen rechten. Oder beim Gehen das Gewicht vorwiegend auf das gesunde Bein zu verlagern. Allerdings kann dies zu vielfältigen Sekundärproblemen führen, da einige Körperbereiche doppelt, andere kaum belastet werden. Wir arbeiten mit unseren Patienten am Defizit selbst und erzielen hier Verbesserungen. Dies dauert zwar länger, ist aber nachhaltiger in Bezug auf die spätere Lebensqualität.“
Podcast Schlaganfall-Rehabilitation
Sie setzen auf eine ganzheitliche Betreuung von Schlaganfallpatienten – was bedeutet das konkret?
Prof. Luft: „Der Begriff ‚ganzheitlich’ wird gerne missbräuchlich von esoterischen Anbietern verwendet. Wir setzen auf eine ganzheitlich schulmedizinische Behandlung unserer neurologischen Patienten. D.h. wir arbeiten an allen Ausfallerscheinungen der Bewegung, der Sprache und der Kognition. Weiterhin konzentrieren wir uns auf die optimale Ernährung unserer Patienten. Dies kann notwendig sein, falls Schluckstörungen auftreten oder der Patient aufgrund des hohen Energieverbrauchs beim Reha-Training besondere Kost benötigt. Außerdem macht gutes Essen glücklich – und das ist ein nicht zu unterschätzender Motivationsfaktor, gerade während eines Klinikaufenthalts. Auch ein gesunder Schlaf ist ein zentraler Faktor für das Training nach einem Schlaganfall. Ohne einen gesunden, erholsamen Schlaf vergisst der Mensch am Tage Erlerntes. Die Psyche spielt ebenfalls eine große Rolle. Wer nach einem Schlaganfall psychische Probleme entwickelt, braucht spezielle Hilfe. Die anhaltende Frustration und Traurigkeit kann zu einer Depression führen, die wiederum Schlaflosigkeit und Tagesmüdigkeit nach sich ziehen kann. Wir haben daher ein Augenmerk auf alle diese Faktoren. Das bezeichnen wir als ganzheitliche Betreuung unserer Schlaganfallpatienten.“
Häufig wird für große Behandlungszentren geworben – ihre Klinik ist mit 16 Betten das genaue Gegenteil. Ist das ein Vor- oder Nachteil?
Prof. Luft: „Wir haben ganz bewusst für ein innovatives und sehr individuelles Behandlungsprogramm entschieden, für eine Neurorehabilitation ohne zeitliche oder personelle Einschränkungen. Wir arbeiten mit den neuesten Technologien und Behandlungsmethoden, für die ein Nutzen nachgewiesen wurde, sei es durch Forschung und Studien oder durch Erfahrungen von Experten. Dies sind Behandlungsverfahren, die sich auf die Einzelpersonen und ihre Bedürfnisse konzentrieren und nicht für Gruppentherapien geeignet sind, wie sie in größeren Kliniken häufig durchgeführt werden. Dazu zählen auch Hirnstimulationsmethoden, wie z.B. die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS). Dies ist eine nicht invasive Form der Neuromodulation, bei der bestimmte Hirnareale durch Gleichstromelektroden stimuliert werden. Wir setzen sie vor einer intensiven Sprach- oder Bewegungstherapie ein und erzielen dadurch eine Verstärkung der Behandlungserfolge.“
Wie stehen die Erfolgschancen, nach einem erlittenen Schlaganfall wieder völlig normal leben zu können?
Prof. Luft: „Die Chancen sind meist viel besser, als es in der Akutphase den Anschein hat. Es ist durchaus möglich, dass zunächst schwerbehinderte Schlaganfallpatienten einen Normalzustand erreichen. Anfangsprognosen wie ‚Sie werden nie wieder laufen können’ sind keine gesetzten Tatsachen. Fest steht allerdings, dass Schlaganfallpatienten für einen optimalen Erfolg eine lange Therapiebegleitung benötigen. Die Standard-Reha-Angebote reichen hier meist nicht aus. Zu den größten Herausforderungen gehört es, die Schlaganfallpatienten zur Mitarbeit zu bewegen. Wir überlegen für jeden einzelnen Patienten, wie wir sie oder ihn am besten motivieren können. Denn um von einem Schlaganfall zurück zur Normalität zu gelangen ist genauso aufwendig, als würde ein normaler Durchschnittsmensch versuchen, ein Profi-Athlet zu werden. Unabhängig von dem Therapeuten, der mit dem Patienten arbeitet, wird die Verbesserung und der Therapieerfolge wöchentlich durch ein eigenes Team von Mitarbeitern gemessen. Dadurch können wir zum einen die Therapieauswahl überprüfen und steuern und zum anderen unseren Patienten ihre Erfolge nachweisen. Das motiviert ungemein.“
Haben jüngere Schlaganfallpatienten bessere Chancen, in ihr privates und berufliches Umfeld zurück zu gelangen?
Prof. Luft: „Ja, das liegt aber auch zum großen Teil an der eben angesprochenen Lebensmotivation. Häufig haben jüngere Patienten mehr Unterstützung durch ihr Umfeld und auch andere Anreize für eine Rückkehr in den Alltag als ältere Menschen. Wichtig ist, sich nicht aufzugeben sondern an den entstandenen Defiziten zu arbeiten.“
Ist für Schlaganfallpatienten nach der Entlassung aus der Rehaklinik eine weitere Therapie erforderlich?
Prof. Luft: „In den meisten Fällen schon. Es gibt sicher einige wenige Patienten, die dank der Reha-Maßnahmen schnell nach Hause zurückkehren können und für die ihre Alltagsverrichtungen das beste Training sind. Aber viele erreichen nach einem Schlaganfall diesen Zustand nicht und laufen Gefahr, dass sich ihr Zustand alleine zuhause wieder verschlechtert. Nach einem Klinik-Aufenthalt eine ambulante Versorgung zu gewährleisten ist nicht einfach. Dies würde eine ambulante Therapie, bestenfalls im eigenen Haus oder der eigenen Wohnung bedeuten. Wir setzen daher große Hoffnungen auf die Tele-Rehabilitation, gerade auch in Zeiten der Corona-Pandemie. Bei dieser Ferntherapie erhält der Patient von uns alle erforderlichen Geräte und absolviert ein ganz normales Training, allerdings per Videokonferenz. Dadurch ist der 1:1 Mensch-zu-Mensch-Kontakt gegeben. So sind ein persönlicher Austausch zwischen Patient und Therapeut möglich und durch den Einsatz von Sensoren auch Diagnosen sowie eine gezielte Überwachung der Trainingsmethoden und Behandlungsfortschritte. Der persönliche Kontakt ist wichtig, weil Schlaganfallpatienten sich durch falsche Übungen großen Schaden und Schmerzen zufügen können. Daher sollte die Therapie unbedingt individuell und unter Überwachung stattfinden. Tele-Rehabilitation ist eine hervorragende Möglichkeit, die Schlaganfalltherapie zuhause fortzusetzen bzw. auszuführen, wenn – wie in Zeiten von Corona –persönlicher Kontakt möglichst reduziert werden sollte.“
Welche Verbesserungen erhoffen Sie sich für die Schlaganfall-Rehabilitation in den kommenden Jahren?
Prof. Luft: „Durch die Neu- und Weiterentwicklung von Sensoren sind wir bereits auf einem guten Weg, die Gehfähigkeit von Schlaganfallpatienten zu überwachen und dadurch ein falsches Gangbild, das später Schmerzen und Fehlstellungen auslösen könnte, zu vermeiden. In Bezug auf die Armbewegungen ist dies zur Zeit noch schwierig, da der Arm über sehr viel mehr Bewegungsmöglichkeiten verfügt. Hier wird sicher die neue Sensortechnologie, wie sie beispielsweise bei selbstfahrenden Autos oder Google Pixel zum Einsatz kommt, in Zukunft ein Bewegungstracking erleichtern. Für die Sprach-Rehabilitation gibt es wunderbare Ansätze in der Spieleindustrie. Die Spiele müssten allerdings an die eingeschränkten Fähigkeiten der Schlaganfallpatienten angepasst werden.“
Haben Sie noch einen besonderen Tipp für Schlaganfallpatienten?
Prof. Luft: „Ja, gerade ganz aktuell, aufgrund der Corona-Situation: Eine Schlaganfall-Rehabilitation ist kein Luxus, den man einfach abstellen und später wieder aufnehmen kann. Wer seine Reha abbricht, baut automatisch wieder ab. Jetzt am Ball zu bleiben, ist essentiell wichtig. Wir befürchten außerdem, dass Patienten mit Schlaganfall-Symptomen sich aus Angst vor einer möglichen Ansteckung scheuen, die Spitäler aufzusuchen. Ich kann nur an alle Patienten und die Angehörigen appellieren: Melden Sie sich bei verdächtigen Symptomen unbedingt in der nächsten Klinik oder bei einem Arzt, bzw. alarmieren Sie den Notarzt. Ein unbehandelter Schlaganfall kann fatale Folgen haben. Letztendlich geht es um die Vermeidung von Schwerstbehinderungen.“
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