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Winterpflege für den Körper

Physiotherapie

Nicht nur Erkältungskrankheiten nehmen im Winter zu, auch unser Bewegungsapparat wird durch Kälte und Dunkelheit beeinflusst. Kai-Uwe Aescht ist Spezialist für orthopädische und sportmedizinische Rehabilitation im PTA Center Stuttgart, der privaten Praxisklinik für Physiotherapie und sportmedizinische Betreuung. Er beantwortet die wichtigsten Fragen zu Verspannungen und eingeschränkter Leistungsfähigkeit während der Wintermonate.

Interview: Susanne Amrhein

Warum belastet die Winterzeit unsere Muskeln und Gelenke?

Kai-Uwe Aescht: „Schuld sind zum einen die niedrigen Temperaturen. Durch die Kälte ziehen sich unsere Muskeln automatisch zusammen. Dahinter steckt die natürliche Reaktion des Körpers, durch Muskelspannung Wärme zu produzieren. Häufig tragen wir aktiv dazu bei, indem wir den Kopf einziehen, die Schultern hochziehen oder die Arme eng an den Körper pressen. Auf Dauer führt das zu Verspannungen. Zum anderen leiden wir im Winter an einem Mangel an Sonnenlicht. Dies führt unwillkürlich dazu, dass wir weniger aktiv sind, mehr Zeit im Sitzen verbringen und uns im Warmen aufhalten. Auch diese mangelnde Bewegung wirkt sich negativ auf unseren Bewegungsapparat aus.“

Viele Menschen leiden unter Verspannungen – wann sollte man diese behandeln lassen? 

Kai-Uwe Aescht: „Ich ziehe gerne den Vergleich zum Zähneputzen. Es ist für uns normal, zwei Mal am Tag die Zähne zu reinigen, um sie gesund zu halten. Genau so sollten wir auch mit unserem Bewegungsapparat umgehen: Wichtig ist, vorbeugend und bei ersten Anzeichen von Problemen zu reagieren und nicht erst, wenn Nacken und Rücken akut schmerzen. Wir müssen unseren Körper ganzheitlich betrachten.Wenn wir irgendwo ein Spannungsproblem in der Muskulatur aufbauen, hat dies direkten Einfluss auf unsere Gelenke und auch die Funktionen der inneren Organe. Unbehandelt lösen wir eine Kettenreaktion aus, die im nachhinein nur schwer zu unterbrechen ist.“

Hilft es, Verspannungen mit Wärmflaschen oder Heizkissen zu behandeln?

Kai-Uwe Aescht: „Wärme durch ein Heizkissen kann auf jeden Fall dazu beitragen, die Beschwerden zu lindern. Allerdings hat eine professionelle Fango-Packung, die über mehrere Stunden im Backofen aufheizt, eine ganz andere Tiefenwirkung als die Wärmequellen, die wir zuhause nutzen können. Bei uns im PTA Center wenden wir Wärmetherapien vorwiegend im Anschluss an eine Massage, Manuelle Therapie oder Dry Needling an. Durch diese Behandlungen werden feste Körperstrukturen wie Muskeln und Faszien gelöst und die Wärme kann effektiver wirken. Wenn man auf verspannte Muskulatur ein Heizkissen legt, dann dringt die Wärme gar nicht zu den Muskeln durch sondern man spürt in erster Linie eine Reaktion der Haut. Und es ist auch ein Unterschied ob man eine Wellness-Massage bucht oder einen ausgebildeten Physiotherapeuten konsultiert. Wir haben eine fundierte Ausbildung durchlaufen, dürfen und können auch gezielt auf muskuläre Probleme reagieren, manuell therapieren und Blockaden lösen oder auch ein individuelles Dehnungsprogramm ausarbeiten.“

Wie kann die körperliche Leistungsfähigkeit im Winter gesteigert werden?

Kai-Uwe Aescht: „Viele Menschen haben im Winter das Problem, dass sie morgens im Dunkeln zur Arbeit gehen und abends im Dunkeln heimkehren. Wichtig ist, sich Zeiten zu organisieren, an denen man das ungefilterte Tageslicht genießen kann. Das kann z.B. ein Spaziergang in der Mittagspause oder am Wochenende sein. Je länger die Gehstrecke pro Tag an der frischen Luft ist, desto besser funktionieren unsere Durchblutung und auch der natürliche Stressabbau. Umgekehrt führt ein Mangel an Tageslicht und Bewegung zu Fetteinlagerungen, Verspannungen und Stimmungstiefs. Man entwickelt einen regelrechten Tunnelblick, der nur noch auf die Erfüllung von Aufgaben fokussiert ist und keinen Raum mehr lässt für die natürlichen körperlichen Bedürfnisse. Wir haben bei unseren Patienten auch stets eine Auge darauf, wann die Möglichkeiten der Physiotherapie und Rehabilitation erschöpft sind und wir sie stattdessen an einen Coach oder Psychotherapeuten verweisen.“

Für Profisportler gehört eine regelmäßige Physiotherapie zum Alltag – wie viel Sinn macht dies für Otto Normalbürger?

Kai-Uwe Aescht: „Ich habe die Vermutung, dass es an unserer mangelnden Selbstliebe liegt, die uns davon abhält, unseren Körper besser zu pflegen. Es ist etwas besser geworden, nachdem viele Krankenkassen dazu übergegangen sind, ihren Mitgliedern Bewegungsprogramme zu finanzieren und natürlich im Bedarfsfall auch Massagen und andere Therapien zu übernehmen. Aber es sollte jedem von uns bewusst sein, dass wir aktiv etwas tun müssen, um unsere Leistungsfähigkeit und Gesundheit zu erhalten. Wer seine Muskeln trainiert und regelmäßig von Verspannungen befreien lässt, beugt Gelenkproblemen vor. Mit gezielten Sport- und Ernährungsprogrammen können viele Operationen an Hüfte, Knie und anderen Gelenken vermieden oder zumindest hinausgezögert werden. Ein Patient von mir sollte wegen Schmerzen, die bis ins Handgelenk zogen, am Karpaltunnel operiert werden. Nachdem wir die Verspannungen in seiner Schulter gelöst hatten, waren die Schmerzen verschwunden – ohne chirurgischen Eingriff. Ein weiterer Patient von mir sollte im Alter von 80 Jahren wegen chronischer Schmerzen am Rücken operiert werden. Bei einer ausführlichen Untersuchung und dem dazugehörigen Anamnese-Gespräch kam heraus, dass er tagsüber fast durchgehend auf dem Sofa vor dem Fernseher liegt. Nachdem wir seine Liegeposition verändert und den Nacken entlastet haben, war die Operation überflüssig geworden. Ganzheitlich gesund und verantwortungsvoll mit seinem Körper umzugehen ist also nicht nur eine Aufgabe für Profisportler, sondern für uns alle.“