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Gesundheit und Lebensqualität über 60

Psychotherapie

Der Lebensabschnitt ab 60 Jahren kann große Herausforderungen mit sich bringen. Dazu gehören das Ausscheiden aus dem Beruf, das Nachlassen der körperlichen Kräfte und der Verlust nahestehender Personen. Nicht selten sind Depressionen, Angst oder Schmerzstörungen die Folge, sagt Dr. med. Clemens Boehle, Spezialist für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Gezeiten Haus Bonn, das ein darauf spezialisiertes Behandlungskonzept anbietet.

Interview: Susanne Amrhein

Es heißt in vielen Ratgebern: Wenn die Midlife Crisis bei Männern und die Wechseljahre bei Frauen durchgestanden sind, wird das Leben wieder entspannt. Stimmt das?

Dr. Boehle: „ Ja und nein. Was wir häufig sehen ist, dass viele Menschen mit zunehmendem Alter gelassener werden. Mit 60 Jahren hat man in der Regel seinen Platz in Beruf und Gesellschaft gefunden, wichtige Weichen wurden gestellt  und Entscheidungen getroffen, auch viele Konflikte und Kämpfe sind durchgestanden. Viele Menschen freuen sich auf die neugewonnene Freiheit und Entlastung im Ruhestand, auf Reisen und Zeit für Freunde und Hobbies. Aber es gibt auch viele Menschen, die sich plötzlich nutzlos und alleine fühlen, die nicht in gesicherten Verhältnissen leben und einsam sind, die unter Krankheiten oder Verlusterlebnissen leiden. Wie das Altern erlebt wird, ist sehr unterschiedlich und hängt von der individuellen Situation und Anpassungsfähigkeit ab. Entscheidend ist u. a. die Balance zwischen entlastenden und belastenden Faktoren in der konkreten Lebenssituation.“

Was sind typische Themen, die Menschen ab einem Alter von 60 Jahren beschäftigen?

Dr. Boehle: „ Das sind zum Teil sehr herausfordernde und belastende Themen, wie z.B. der mit der Rente einhergehende Rollenwechsel. Das Ausscheiden aus dem Beruf verändert die Lebenssituation bezüglich sozialer Anerkennung , wirtschaftlicher Stellung und Selbstwertgefühl. Der Weg vom „Ernährer der Familie“ zum Rentenempfänger ist nicht immer leicht. Die meisten Menschen stehen außerdem vor der Frage, wie sie ihre neue Freizeit ausfüllen sollen und diesen Lebensabschnitt sinnvoll gestalten können. Dies trifft besonders Menschen, die sich vor Eintritt in die Rente nicht mit diesem Thema beschäftigt haben. Bei diesen ist die Gefahr, in eine Sinnkrise oder Vereinsamung zu stürzen größer und geht mit dem erhöhten Risiko einher, eine Depression oder psychosomatische Störungen zu entwickeln. Wer dagegen frühzeitig die Weichen stellt, sich Aufgaben sucht und Beziehungen mit anderen Menschen aktiv aufrechterhält, hat es deutlich leichter. Wichtig ist es, sinnstiftende Aufgaben zu finden, ob im Familienkontext oder bei einem Hobbie, z.B. bei Sport oder dem Erlernen einer Sprache oder eines Musikinstrumentes. Bei Paaren gilt es, die Herausforderung zu meistern, die Beziehung an  die neue Lebenssituation anzupassen. Bei mehr gemeinsamer Zeit, die die Partner haben, gilt es, eine gute Balance aus Nähe und Autonomie zu finden. So sehr man sich vielleicht auch auf gemeinsame Aktivitäten freut, sollte jeder Partner auch seinen eigenen Raum und Zeit für die eigenen individuellen Bedürfnisse haben. Außerdem ist man natürlich auch mit Themen wie dem Nachlassen der Kraft und Gesundheit und auch dem Verlust nahestehender Personen konfrontiert.“

Was kann man dem düsteren Gefühl „Jetzt geht es bergab“ entgegensetzen?

Dr. Boehle: „Wenn die Kräfte immer mehr nachlassen und sich schmerzliche Verlusterlebnisse häufen, kann das Gefühl des „Jetzt geht es nur noch bergab“ entstehen und der Lebensmut abnehmen. Wer z.B. einen geliebten Menschen verloren hat, muss sich Zeit und Raum für die Trauer nehmen und aktiv Trauerarbeit leisten, am besten natürlich mit der Unterstützung von Freunden und der Familie oder für die Trauerbewältigung  psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Leider ist es häufig so, dass gerade ältere Menschen mit ihrer Trauer allein gelassen werden und die Einsamkeit die Bewältigung des Verlustes deutlich erschwert. Wer in der Trauer allein bleibt, läuft eher Gefahr, z.B. eine Depression zu entwickeln.  Auch das vermehrte Auftreten von Gebrechen und körperlichen Einschränkungen bei nachlassender Vitalität ist im Alter ein Hintergrund für abnehmende Lebensfreude. Wenn Aktivitäten eingeschränkt sind und z.B. Hobbies aufgegeben werden müssen, geht es um die Neubestimmung von Zielen, Sinnfindung, Kompensation von Defiziten und die Fokussierung auf die vorhandenen Ressourcen. Dabei spielt eine Haltung von Akzeptanz und soziale  Einbindung eine besondere Rolle.  Wichtig ist gleichermaßen, eine depressive Entwicklung nicht zu übersehen und entsprechend ärztliche oder psychotherapeutische  Hilfe zu nutzen.“

Die Werbung ist voll von glücklichen, lachenden und rüstigen Rentnern. Was macht das mit den Menschen, die sich nicht so fühlen?

Dr. Boehle: „Ich finde diese Darstellungen schwierig, weil sie ein verzerrtes Idealbild des Alterns suggerieren und einen unrealistischen Erwartungsdruck aufbauen.  Glücklicherweise gibt es zwar heute relativ viele bis ins höhere Alter aktive und gesunde Menschen, die zumindest phasenweise diesem Idealbild einigermaßen nahe kommen, aber die einseitige Darstellung muss auch vielen Menschen fast wie ein Hohn vorkommen und die Tendenz zur Selbstabwertung verstärken. In jedem Fall ist es jedoch hilfreich, sich darauf zu konzentrieren, was das Leben aktuell an Erfreulichem zu bieten hat und eine Akzeptanz für die eigene Lebenssituation zu entwickeln. Einen würdigen Rückblick zuzulassen, eine Selektion sinnstiftender Aktivitäten vorzunehmen und soziale Kontakte aufrecht zu erhalten, kann zu einem gelingenden Altern beitragen. Dazu können das Wiederaufnehmen von Beziehungen durch Versöhnung, die Aufnahme von noch möglichen Aktivitäten oder auch eine Veränderung der Wohnform gehören.“

Müssen wir uns ab einem gewissen Alter also einfach mehr auf die positiven Aspekte des Lebens konzentrieren?

Dr. Boehle: „ Das ist ein Teil der Lösung für jedes Alter. Wann immer es besondere Herausforderungen, Einschränkungen oder Belastungen gibt, steht ganz am Anfang immer die Notwendigkeit der Annahme der Herausforderung und die Akzeptanz dessen, was möglich ist. Wir sind heute in unserer Gesellschaft stark an unserer Performance und überhöhten Leistungsansprüchen orientiert. In anderen Kulturen, z.B. in Asien, hat das Alter eine eigene Wertigkeit u.a. im Sinne der Lebensweisheit. Bei uns geht es eher mit Defizitwahrnehmung und Respektverlust einher, auch weil Ältere nicht bei dem hohen Lebenstempo mit ständigen Neuerungen hinterherkommen. In einer globalisierten und digitalisierten Welt  wird der alte Mensch rasch zu einem Problem, das gelöst werden muss und die Gesellschaft Geld kostet. Von einer solchen Haltung müssen wir uns entschieden befreien und die alternden Menschen vor allem in Ihrer Würde und Verletzlichkeit wahrnehmen. Das Alter bietet schließlich auch Möglichkeiten, die es vorher im Leben nicht gab: Die sogenannte Altersmilde ermöglicht die Lösung von alten Konflikten und Versöhnungen. Viele ältere Menschen engagieren sich in Ehrenämtern oder helfen in anderen sozialen Kontexten, z.B. in der Familie. Es ist wichtig, auch im Alter seine Selbstachtung und seine Selbstliebe zu erhalten oder wieder aufzubauen und für die Jungen ist wichtig, alternden Menschen mit Achtung, Verständnis und Neugier zu begegnen, da wir alle diesen Weg mit dem gleichen Ende vor uns haben.“

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