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Vor der Wirbelsäulen-OP eine Zweitmeinung einholen

Rückenschmerzen

Eine Rückenoperation sollte gut überlegt sein. Daher bieten viele Krankenversicherungen ihren Mitgliedern an, vor einer Wirbelsäulen- oder Bandscheiben-OP in ausgewählten Zentren eine Zweitmeinung einzuholen.

Susanne Amrhein, PRIMO MEDICO

 

In Deutschland leiden etwa 20 Millionen Menschen an Rückenschmerzen. Viele Betroffene und Ärzte sehen als letzte Maßnahme eine Operation. Ein chirurgischer Eingriff ist allerdings keine Garantie dafür, dass die erwünsche Schmerzfreiheit tatsächlich eintritt. Nutzen und Risiken einer Rücken-OP sollten genau abgewogen werden, erklärt Dr. med. Joachim Mallwitz, Spezialist für konservative Orthopädie und leitender Arzt im Rückenzentrum Am Michel in Hamburg: „Eine Zweitmeinung bedeutet nicht automatisch einen Gegenvorschlag. Wenn die Symptome zur Diagnose passen oder klare Befunde wie z.B. Nervenschädigungen oder Lähmungen vorliegen, dann raten auch wir zu einer Operation. In diesem Fall kann der Betroffene  mit gutem Gefühl in den OP gehen. Allerdings kommen viele Patienten zu uns, die bereits einen langen Leidensweg mit chronischen Rückenschmerzen hinter sich haben. Eine Operation wird hier manchmal aus Verzweiflung in Betracht gezogen, obwohl völlig unklar ist, ob diese tatsächlich eine Linderung bringen kann. In diesen Fällen sollte man unbedingt nochmal genau überprüfen, ob nicht doch eine alternative Therapie eine Verbesserung für den Patienten ermöglichen kann. Häufig ist eine Operation nicht erforderlich.“

 

Ablauf einer Zweitmeinungs-Untersuchung

Wenn Patienten unsicher sind, ob eine geplante Operation die richtige Therapie für sie ist, können sie sich an ihre Krankenkasse wenden und um Kostenübernahme für das Einholen einer zweiten Facharzt-Meinung bitten. In der Regel arbeiten die Krankenkassen mit speziellen Rückenzentren zusammen. „Im Rahmen unseres Zweitmeinungsverfahrens im Rückenzentrum Am Michel begutachten wir nicht nur die bereits vorhandenen Bilder und Befunde. Bei uns untersucht ein Expertenteam verschiedener Fachrichtungen, ob eine Operation tatsächlich notwendig ist. Dazu gehören eine Untersuchung durch einen Orthopäden, einen Physiotherapeuten und einen Psychotherapeuten“, erklärt Dr. Mallwitz. Das Ergebnis dieser Untersuchung wird sowohl mit dem Patienten als auch mit dem behandelnden Arzt besprochen.

 

Zweitmeinung kann Alternativen aufzeigen

Es gibt zahlreiche Beschwerden und Befunde, bei denen man operieren könnte, aber nicht unbedingt muss, betont Rückenspezialist Mallwitz. Dies ist häufig der Fall, wenn die Rückenschmerzen bereits lange bestehen und unklar ist, wie stark ausgeprägt die  Strukturveränderungen an der Wirbelsäule tatsächlich sind. „Was eine Operation nicht aus der Welt schaffen kann, sind Konflikte, die auf den Schultern der Patienten lasten und ihr individuelles Schmerzempfinden negativ beeinflussen. Ein Skalpell hilft hier nicht weiter“, so Dr. Mallwitz. Im Rückenzentrum Am Michel beurteilen die Spezialisten nicht nur die körperlichen Voraussetzungen des Patienten, sondern auch Funktionalität und persönliche Ressourcen. „Bei 80 bis 90 Prozent unserer Patienten sehen wir eine Chance, ihr Problem konservativ, also ohne Operation zu verbessern. Manchmal treibt allein schon die Angst vor einer OP die Patienten dazu, ein aktives Aufbautraining zu wagen.“ Gerade bei Verschleißsymptomen hat sich eine Kombination aus Physiotherapie und Krafttraining bewährt, so Mallwitz.  Auch die Nationalen Versorgungsleitlinien für nicht-spezifische Kreuzschmerzen stellen aktive Maßnahmen, also Bewegung statt Bettruhe, sowie eine multidisziplinäre Herangehensweise in den Vordergrund.

Und man darf auch nicht vergessen: Jede Operation birgt immer auch ein gewisses Risiko, allein schon durch die Narkose. Ein chirurgischer Eingriff kann einen längeren Ausfall im Berufsleben bedeuten. Und für ältere Patienten, z.B. mit kardio-vaskulären Vorerkrankungen, ist eine Alternative zur Operation allein wegen des erhöhten Risikos grundsätzlich eine gute Option.

 

Recht auf Zweitmeinung

Jeder gesetzlich versicherte Patient hat das Recht, bei Unsicherheit eine ärztliche Zweitmeinung einzuholen. Die meisten Ärzte stehen dem Wunsch ihrer Patienten nach einer Zweitmeinung offen gegenüber. „Die Zeiten, in denen sich Ärzte durch den Zweitmeinungswunsch ihrer Patienten in ihrer Fachkompetenz eingeschränkt fühlen, sind zum Glück vorbei“, bestätigt Dr. Mallwitz. Heute schicken ihm Kollegen aktiv Patienten mit dem Vermerk „Erbitte Zweitmeinung“.